SWR Kultur Wort zum Tag
Ich bin über das Wort „Anfängergeist“ gestolpert. Ein Psychologe hat dazu geraten, um den Alltag spannender zu machen. „Anfängergeist“ heißt, dass ich an eine Sache rangehe wie ein Anfänger oder eine Anfängerin. Nicht möglichst dusselig, sondern neugierig. Ich soll alltägliche Dinge so anpacken, als ob ich sie zum ersten Mal machen würde.
Kinder haben viel von diesem Anfängergeist. Sie staunen und probieren aus. Sie jauchzen, wenn etwas gelingt, oder sie tun etwas immer wieder - einfach nur, weil es Spaß macht und neu ist. Erst wenn ich mich an Dinge gewöhne, dann verlieren sie langsam den Reiz, werden fade oder routiniert: Zum Beispiel der Weg zur Arbeit, Mittagessen kochen oder auch der Gutenachtkuss.
Anfängergeist einzuüben kann anregend sein und ist gar nicht so schwierig. Ich muss mir nur vorstellen, dass ich etwas zum ersten Mal machen würde - und schon bekommt es einen ganz neuen Stellenwert: am Morgen die Vögel zwitschern hören – wie schön, dass es sie gibt und dass ich es überhaupt wahrnehmen kann. Den ersten Schluck Kaffee durch die Kehle rinnen lassen – wie die Menschen nur auf diesen Geschmack und die Zubereitungsart gekommen sind. Der Kühlschrank hält kühl, der Toaster macht ein Brot herrlich knusprig – ein „Wow“ auf alle kleinen und großen technischen Wunder. Die warme Dusche am Morgen oder erfrischend kaltes Wasser im Gesicht – was für ein Geschenk.
Auch der japanische Zen-Meister Shunryu Suzuki hat den Anfängergeist geschätzt. Und er geht noch einen Schritt weiter, wenn er sagt: „Der Geist des Anfängers ist leer, frei von den Gewohnheiten der Experten, er ist bereit zu akzeptieren, zu zweifeln und ist offen für alle Möglichkeiten. Es ist die Art von Geist, der die Dinge sehen kann, wie sie sind, der (…) die ursprüngliche Natur von allem erkennen kann.“
Das finde ich interessant, denn Suzuki geht es nicht nur ums Staunen und Genießen, sondern darüber hinaus auch darum, das ursprüngliche Wesen der Dinge zu erkennen. Und deshalb ist für ihn der Anfängergeist auch mit der Frage verbunden: „Wer bin ich?“ oder „Wie könnte Gott mich gemeint haben?“ Wenn ich mir ganz neutral anschaue, was mich ausmacht, was mich stark macht, wo ich mich zuhause fühle, dann könnte mir das dabei helfen, mich so zu entwickeln, wie ich eigentlich gemeint war.
Anfängergeist ist also eine Art Reset-Taste: zurück auf null, mich frei machen, und dadurch wieder erkennen und staunen lernen.
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