Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Vor einigen Wochen sind wir sind umgezogen, zwei Erwachsene, zwei Kinder und unser alter Kater. Es war ein Kraftakt, und noch immer ist längst nicht alles so, wie es sein soll. Gleichzeitig habe ich eine Erfahrung gemacht, mit der ich niemals gerechnet hätte: Unser Kater hat uns vorgemacht, wie umziehen gelingt. Also: Wie wir uns verhalten sollen, damit wir mit der Veränderung gut klarkommen. Und dabei hatte ich wirklich große Sorge, dass er uns die Wände hochgeht, weil er es nicht gewohnt ist, im Haus zu bleiben. Und dann ist folgendes passiert: Er hat sich die erste Woche komplett eingeigelt und fast nur geschlafen. In der zweiten Woche hat er sich an die Fenster gesetzt und einfach nur geschaut und beobachtet. Erst in der dritten Woche hat er uns signalisiert: Ich will raus. Wir haben ihm dann ein Geschirr angelegt, ihn an die Leine genommen und nach und nach mit ihm seinen Radius ums neue Haus herum vergrößert.
Ich war jeden Tag viele Stunden mit ihm auf der Wiese unterwegs und habe geduldig gewartet, bis er seine Mäusejagd beendet hat. Anfangs war ich wenig begeistert, weil ich eigentlich gar keine Zeit hatte, es standen noch so viele Kisten da und zurück an den Schreibtisch sollte ich auch. Und gleichzeitig habe ich gespürt: Es tut mir so gut, einfach nichts zu tun und geschehen zu lassen, was der Tag so bringt. Es war mir sogar recht, weil ich gemerkt hab, ich habe im Moment gar nicht die Power für mehr.
Mir ist klar geworden: Der Umzug war nicht nur eine äußere Veränderung. Kisten umzuziehen ist das eine. Aber auch meine Seele muss von einem Ort zum anderen gelangen. Ich brauchte einfach noch Zeit.
Umbrüche im Leben und Veränderungen erlebt jeder, immer wieder. Wichtig ist, dass es dabei einen Raum gibt für die Übergänge, zwischen alt und neu. Der amerikanische Autor und Organisationsberater William Bridges nennt diesen Übergangs-Raum „neutrale Zone“. Die Wiese vor dem Haus war einige Wochen lang meine neutrale Zone. Ein Ort fürs traurig sein, weil wir uns so wohl gefühlt hatten im alten Haus. Ein Ort für die Unsicherheiten: Funktioniert das mit dem längeren Schulweg für den Jüngsten, mit dem neuen Revier für den Kater? Die neutrale Zone hat mich herausgefordert, diesen Zwischen-Zustand auszuhalten. Denn genau das ist notwendig, damit die Energie zurückkommen kann. Und so ist es dann auch passiert. Der Kater kennt jetzt das ganze Quartier und findet alleine nach Hause; und ich fange ganz langsam und in Ruhe an, Bilder aufzuhängen und die Nachbarn kennenzulernen.
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