SWR1 Begegnungen

Caroline Haro Gnändinger trifft die ungarische Autorin Noémi Kiss.
Ihre Bücher wurden auch ins Deutsche übersetzt und sie schreibt für die Wochenzeitung DIE ZEIT. In ihren Texten geht es oft darum, was Frauen erleben, und wie der Alltag im Sozialismus war. Den hat sie selbst als Kind und Jugendliche erlebt. Was ich an ihren Geschichten mag, sind die Details - sie schaut genau hin. Ein gutes Ende haben ihre Geschichten aber selten - warum eigentlich?
Ich glaube nicht, dass es immer gut sein muss. Es gibt auch Gutes und auch viele Schicksale, einfach Schicksale, die nicht so gut gelungen sind.
Und wie Menschen damit umgehen, wenn etwas ganz anders kommt, als vorher erhofft, das findet sie interessant. Und mir geht es auch so:
Dieses Streben, dieses Vorstellen, gerade, dass du etwas enttäuscht bist und trotzdem weiter machst.
Enttäuschungen erlebt schließlich jeder, auch Noémi Kiss. Als sie vor einigen Jahren Kinder bekommen hat, Zwillinge, gab‘s Komplikationen und sie war manchmal auch überfordert, erzählt sie. Was ihr geholfen hat, war auch: der Glaube, dass Gott bei ihr ist:
Das war schon eine schwierige, ein sehr schöne, aber schwierige Zeit. Bei dem Arzt zu sein, diese ärztlichen Sachen, die nicht unbedingt angenehm sind. Und dass ich dann eine Frühgeburt hatte und dann hat Glauben sehr viel gerettet.
Sie erzählt mir, dass es ihr auch gut getan hat, dass die Kirchengemeinde vor Ort es möglich gemacht hat, dass Eltern sich austauschen können. Auch in ihren Büchern taucht immer wieder Christliches auf. Eine Kinderbibel, die irgendwie tröstet. Oder ein Christusfigürchen aus Blech, das die Mutter zum Schutz unter‘s Kopfkissen ihrer Tochter legt. Von dem Das Figürchen soll auch niemand erfahren und es riecht komisch, metallisch.
Ich bin in Ungarn aufgewachsen. In meiner Kindheit war es verboten zu glauben. Es war nicht gut angesehen, wenn du in die Kirche gegangen bist. Dass Gott überhaupt nicht existiert, das hat auch meine Lehrerin immer gesagt und dann zu Hause waren wir trotzdem gläubig. Es war ein geheimes Leben, ein Doppelleben, sagt man auch, und das ist schon schwierig. Aber deinen Glauben kann das noch mal stärken. Und ich glaube, dass das heute noch verarbeitet wird in meiner Generation.
Den Glauben verstecken müssen, das prägt ihre Gefühle und ihre Seele bis heute noch, findet sie. Bei mir war es anders, als ich aufgewachsen bin: Kirchliche Jugendgruppen und Religionsunterricht, das war zum Glück nicht verboten. Noémi Kiss arbeitet inzwischen übrigens an einer Literatur-Zeitschrift der Erzabtei Pannonhalma mit. Die ist UNESCO-Weltkulturerbe. Dorthin werden regelmäßig Autoren eingeladen. Auch Noémi Kiss – sie hat so dort schon die Wochen vor Ostern verbracht.
Das fand ich auch lustig, weil es nicht so streng war wie ich mir das vorgestellt habe. Wir haben auch gegessen und Gespräche geführt. Kino, Kunst, alles gibt es dort.
Sie hat dort an ihren Geschichten gearbeitet. Und das Gebet der Benediktiner-Mönche ganz früh morgens zum Start in den Tag hat ihr sehr gut gefallen:
Dass du wirklich erst mal dieses Gebet machst und dann fängst du an zu sprechen und denken und überhaupt, dass es Zunge und Sprache beeinflusst.
Ein schöner Gedanke! Wie sehr das, was ich morgens höre und spreche, meinen Tag und was so passiert, inspirieren kann. Und so ein Gebet gehört für sie auch immer noch zu ihrem Tag.
Autorin Noémi Kiss lebt in der Nähe von Budapest in Ungarn. Ich kenne sie von einer Journalistenreise und wir treffen uns in Ulm. Die Stadt liegt ja an der Donau und an dem Fluss spielen oft ihre Geschichten. Die Autorin recherchiert gerade für ein neues Buch über zwei heilige Frauen – die Heilige Elisabeth und die Heilige Margit. Sie haben vor 800 Jahren gelebt und waren Tante und Nichte. Um mehr über sie zu erfahren, bleibt Noémi Kiss nicht an ihrem Schreibtisch sitzen:
Ich besuche Orte, ich spreche mit Menschen. Es wird ein Reportage-Roman sein, oder - ich weiß es noch nicht - also es wird bestimmt ein modernes Format sein, über heilige Frauen zu sprechen.
In der katholischen Kirche gelten Elisabeth und Margit als Vorbilder. Elisabeth kenne ich, weil meine Heimatgemeinde nach ihr benannt ist. Und auf Bildern sind bei ihr oft Rosen zu sehen – weil sie armen Menschen heimlich Brot gebracht haben soll und als sie dabei entdeckt wurde, soll sich das Brot in Rosen verwandelt haben. Eine Legende, aber sie zeigt den großen Einsatz von Elisabeth für Menschen, die es im Leben schwer hatten. Sie, Elisabeth, und Margit waren ursprünglich aus Ungarn:
Die beiden waren aus dem Árpad Haus, aus diesem ungarischen Königshaus. Also das war wirklich eine der bedeutendsten Königsfamilie in Ungarn, auch sehr offen, auch christlich.
Noémi Kiss hat die Erzählungen über die Frauen gelesen und neue Erkenntnisse über sie. Es erstaunt sie, dass Margit und Elisabeth ihre Privilegien abgelegt haben, wegen ihres Glaubens an Gott. Wie ist es eigentlich bei ihr selbst: Wie stellt sie sich Gott vor?
Ich glaube mehr, dass es eine Instanz gibt und dass dein Leben geführt wird, du bestimmte Aufgaben hast und dass du das erfüllen musst.
Die Heilige Elisabeth damals hat ihre Aufgabe darin gesehen, sich für arme und kranke Menschen zu engagieren. Sie hat dafür sogar die Unterstützung ihrer Verwandten verloren und sich für radikale Armut entschieden. Ihre Nichte, die Heilige Margit hat eine Heirat abgelehnt – gegen den Willen ihres Vaters - und hat als Ordensfrau gelebt und Kranke gepflegt:
Sie sind sehr dramatische Dinge und ich finde, die beiden Legenden sind sehr schön emanzipiert. Also zwei Frauen, die selbst Entscheidungen treffen durften und in ihrer Zeit eine andere Mystik, eine andere Spiritualität angefangen haben.
Sich zurückziehen und weg zu kommen von dem, was man halt so macht, und sich stattdessen auf etwas Größeres einzulassen, das ist eigentlich sehr aktuell, findet Noémi Kiss:
Ich merke, dass Spiritualität, Aussteigen, sehr verbreitet ist, besonders unter Frauen. Und das hat bestimmt ein Grund, dass unsere Gesellschaft zu schnell geworden ist.
Den eigenen Alltag so radikal umkrempeln für mehr Mitmenschlichkeit und mehr Nähe zu Gott, wie es Elisabeth und Margit getan haben, das gelingt nur wenigen. Ich als Christin glaube, dass aber auch schon kleine Schritte in diese Richtung viel bewegen können.
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