SWR Kultur Wort zum Tag
Ganz ehrlich, zuerst habe ich meinen Augen nicht getraut. Da kommen zwei Männer zu meiner Abendandacht in die Kapelle. Der eine mit einem Glas Wein in der Hand, der andere mit einem Glas Bier. Sie haben sich in eine der hinteren Reihen gesetzt, aber waren ganz mit dabei. Immer wieder musste ich zu ihnen hinschauen. Nach der Andacht bin ich auf die beiden zugegangen. „Ich war schon überrascht!“, habe ich zu ihnen gesagt. Darauf der eine der beiden: „Aber bei euch gibt’s doch auch Wein in der Kirche, wenn ihr Gottesdienst feiert!“ „Ja natürlich, das stimmt!“, habe ich geantwortet. Und ich habe versucht, den beiden den Unterschied zu erklären. Aber richtig zufrieden war ich mit meiner Antwort nicht.
Ist der Unterschied wirklich so groß zwischen einem Abendmahl in der Kirche, mit Brot und Wein oder Saft, und einem ganz normalen Essen und Getränk – wie bei den beiden, die einfach aus ihrem normalen Glas trinken.
Heute ist Gründonnerstag. Der Tag, an dem in den Kirchen die Erinnerung an die letzte Mahlzeit von Jesus und seinen Freunden im Mittelpunkt steht. Genau darauf hat der Mann ja angespielt, als er davon sprach, in der Kirche würde doch auch Wein getrunken. Schon erstaunlich, dass sich Menschen nach zweitausend Jahren an dieses besondere Essen von Jesus mit seinen Freunden immer noch erinnern. Und im Gottesdienst ganz selbstverständlich wiederholen, was damals doch etwas Besonderes war. Aus allen Speisen und Getränken, die auf dem Tisch standen, hat Jesus die beiden herausgegriffen, die bis heute bei kaum einem Festessen fehlen: Brot – ein elementares Grundnahrungsmittel. Und Wein, schon damals ein festliches Getränk der Lebensfreude! Es wurde gefeiert! Vor allem die Erinnerung an die Befreiung der Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten. Gefeiert haben die Freunde von Jesus aber auch, dass bei diesem Essen im Angesicht des Todes Jesu Gott in ihrer Mitte war. Aus der Erinnerung ist Kraft und Lebensenergie erwachsen. Das ist bis heute so geblieben
Daran erinnere ich mich, wenn ich heute oder in den nächsten Tagen in der Kirche zu Brot und Wein oder Traubensaft eingeladen werde. Ich entdecke und feiere die Gegenwart Gottes in dem, was er hat wachsen lassen: Getreidekörner und Trauben. Zutaten aus der Natur. Eigentlich ein Wunder. Vielleicht, so denke ich, haben die beiden Männer nur ihren eigenen Zugang zu diesem Wunder gesucht. Und hoffentlich dann auch etwas davon gespürt.
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