Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

26APR2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Der ist noch nicht mal aufgestanden! Die haben einfach keinen Anstand mehr!“ Ein älterer Herr ruft das erbost dem Busfahrer zu, als ich ihn aus dem Bus aussteigen sehe. Was passiert ist, lässt sich ahnen, ich sehe eine Gruppe Jugendlicher im Bus weiterfahren. Mir fällt direkt eine Bekannte ein, die umgekehrt neulich erzählt hat, dass im Wartezimmer beim Arzt ein junger Mann für sie aufgestanden ist. Da war ihr erster Gedanke: Hui, jetzt isses soweit, ich seh alt aus.

Wir stehen auf, wenn wir jemanden begrüßen. Aus Respekt und auch wegen der Augenhöhe. Wir stehen auch auf, wenn wir auf einer Bühne Großartiges erlebt haben. Als Charlie Chaplin den Oscar für sein Lebenswerk bekam, gab’s Standing Ovations – 12 Minuten lang.

Für wen würde ich aufstehen? Und jetzt meine ich weder im Bus, in der Straßenbahn oder vor einer Bühne. Für wen stehe ich – innerlich – auf? Der eine mag antworten: „Vor meinen Großeltern stehe ich auf. Mein Großvater hat vier politische Systeme erlebt und war bis zuletzt einer, der nicht im Gestern hing, sondern immer den nächsten Schritt gegangen ist“. Eine andere sagt: „Mein Ausbilder in der Lehre als Schreinerin. Das war ungewöhnlich damals. Sein Betrieb war eigentlich viel zu klein, um mich auszubilden. Ich glaub, er hat’s gemacht, weil er gemerkt hat, dass ich sonst vielleicht hinschmeiße und weiter von mir denke, dass ich eh nix kann.“ „Ich stehe innerlich auf für Menschen“, sagt einer, „die mit einer schwierigen Situation umgegangen sind, von der ich nicht weiß, ob ich das geschafft hätte.“

Und eine ergänzt - sie arbeitet in einem Kindergarten: „Vor diesen kleinen großartigen Menschen stehe ich auf. Nicht weil sie etwas Besonderes leisten. Sondern weil sie so viel schaffen: Das Leben schaffen und das Großwerden. Spielend.“

Geschichten vom Aufstehen erzählen wir in der Osterzeit. Heute am Samstag, wo viele etwas länger liegen bleiben können, stehe ich innerlich auf für diejenigen, die längst hellwach sind. Die von einer Nachtschicht heimkommen. Für alle, die jetzt gerade Sterbende begleiten. Und besonders für die, die mit Ängstlichen heute im Morgengrauen schon gelacht haben. Ich nutze den Samstag, um einen Moment länger beim Kaffee die Füße hochzulegen und innerlich für sie alle aufzustehen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41978
weiterlesen...