Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07APR2025
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Du sollst nichts Falsches über deinen Nächsten sagen! Das ist eines der Zehn Gebote, der wichtigsten Regeln im Christentum und im Judentum. Oft wird es einfacher gesagt: Du sollst nicht lügen! Das ist klar – aber nicht einfach.

Als Grundschülerin war ich auf einer Skifreizeit. Das ist über 40 Jahre her, aber ich weiß noch heute, wie mies ich mich da gefühlt habe: Das Skifahren, die vielen Kinder, alles war mir zu viel – und ich hatte furchtbares Heimweh. Weinend habe ich zu Hause angerufen: Meine Eltern sollten mich unbedingt abholen! Aber meine Mutter hat gesagt: Es tut mir leid, das Auto ist kaputt. Deshalb können wir nicht kommen. Ich musste bleiben – und habe die Zeit irgendwie überstanden.

Viele Jahre später hat meine Mutter mir gestanden, wie es wirklich war: Mit dem Auto war alles in Ordnung. Aber sie fand es wichtig, dass ich die Erfahrung mache, die schwierige Situation durchstehen zu können. Und ich sollte trotzdem nicht das Gefühl haben: Meine Eltern lassen mich im Stich.

Als ich das gehört habe, war ich erstaunt. Ich hatte gar nichts geahnt! Aber ich war nicht sauer. Im Gegenteil. Ich fand die Entscheidung meiner Mutter klug. Für mich als Kind hat ihre Notlüge die Situation erleichtert. Aber ich weiß schon: Man kann darüber auch anders denken. Wahrheit ist schließlich ein hohes Gut – nicht nur im Privaten. Lügen und Fake-News haben zerstörerische Kräfte.

„Du sollst nichts Falsches über deinen Nächsten sagen,“ heißt es in der Bibel. Gemeint ist: Du sollst anderen keinen Schaden zufügen, weil du lügst.

Aber ist das genau das gleiche wie „immer die Wahrheit sagen“? Interessant ist ja: In der Sprache des ersten Teils der Bibel, im Hebräischen, bedeutet das Wort für „Wahrheit“ gleichzeitig Beständigkeit, Zuverlässigkeit, Treue. Wahrheit hat also in der Bibel auch mit einem guten Verhältnis zwischen Menschen zu tun, mit Vertrauen und Verlässlichkeit.

Mir leuchtet diese Verbindung ein: Lügen können Beziehungen vergiften und Vertrauen zerstören. Und wer bewusst Falschinformationen in der Öffentlichkeit verbreitet, will anderen schaden – oder seine eigenen Ziele rücksichtslos durchsetzen.

Aber wie ist es mit gut gemeinten Notlügen? Oder damit, etwas zu verschweigen, um jemanden zu schonen? Ich glaube: Dafür gibt es keine einfache Regel. Aber es ist wichtig zu überlegen: Können mir andere dann noch vertrauen? Bin ich für sie weiter zuverlässig? Und bleibe ich damit mir oder auch der Sache treu?

Meine Mutter hat es geschafft, trotz oder mit ihrer Notlüge mein Vertrauen nicht zu beschädigen. Aber wo ich nicht sicher bin, bleibe ich lieber bei der Wahrheit.

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