SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken

06APR2025
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„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ – sagt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber. Ist das wirklich so? Man könnte ja auch sagen: Leben ist erstmal Atmen, Essen, Trinken, Schlafen. Die Grundbedürfnisse in unserem Leben. Und dann kommen später noch so Bedürfnisse wie Arbeit, Sinn, Sicherheit, Sexualität und so weiter dazu.

Wenn ich mir das recht überlege, mit dem Satz von Buber „Alles wirkliche Leben ist Begegnung“, dann entdecke ich dazu tatsächlich Parallelen im Alltag. In meinem Umfeld habe ich ein paar Menschen, die leben allein. Die fühlen sich oftmals sehr einsam und suchen bewusst Kontakte. Sie suchen Begegnungen mit Menschen, bei denen sie sich angenommen, wohl und sicher fühlen. Wenn sie das nicht tun, haben sie das Gefühl, das Leben geht an ihnen vorbei. Wer sich isoliert, von anderen Menschen fernhält, wird manchmal komisch, entwickelt merkwürdige Ansichten, wird weltfremd und menschenscheu.

Martin Buber geht so weit, dass er sagt „Erst am Du werde ich zum Ich“. Nur durch den Kontakt zu anderen werde ich zu dem Mensch, der ich bin. Schon die ersten Begegnungen mit meinen Eltern prägen meine Entwicklung als Mensch. Wenn ich als Kind geknuddelt und geherzt, mit lautem Hallo in die Familie aufgenommen werde und alle mich am liebsten auf dem Arm haben wollen, hat das andere Auswirkungen auf mein Leben, als wenn ich abgelehnt oder abgelegt werde, weil ich übrig und lästig bin. 

Auch meine Einsichten und Ansichten entwickeln sich erst in der Begegnung und im Austausch mit anderen Menschen. So entsteht meine Meinung oft erst beim Sprechen. Das fühlt sich für manche sehr selbstbewusst an. Aber ich habe keine Schwierigkeiten, das Ausgesprochene dann auch wieder zu ändern oder zurückzunehmen. Aber ich brauche einfach die Begegnung mit anderen Menschen, um mich selber entwickeln zu können.

Martin Buber meint das mit der Begegnung aber auch religiös als Beziehung zu Gott. Erst in der Begegnung mit Gott als einem Du, einem Gegenüber, mit dem ich reden kann, werde ich zu der Person, die ich bin. Es ist ein Werden, kein Sein. Ein Sich-Entwickeln, nicht ein Standpunkt. Und das geschieht in der Begegnung mit Gott. Im Gebet zum Beispiel oder im Gottesdienst, beim Lesen der Bibel oder in der Musik.

„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“ hat Martin Buber im Zwanzigsten Jahrhundert gesagt.

In der Coronazeit wurde das besonders spürbar.  Damals hat meine Kirche eine Umfrage durchgeführt zu der Frage, was die Menschen während der Pandemie am meisten vermisst haben. Die Antwort war überraschenderweise nicht die Predigt, der Gottesdienst oder die Musik. Sondern der Kirchenkaffee. In vielen Gemeinden gibt es nach dem Gottesdienst Kaffee, Tee, Getränke, Gebäck oder Kuchen. Dabei können die Leute sich austauschen und einander begegnen.

Diese Beobachtung hat meine Kirche dazu gebracht, unsere Kernbotschaft neu auszurichten. Wir haben uns ein neues Motto gegeben: „Bring & Share“. Das kann man mit „mitbringen und teilen“ übersetzen. Gemeint ist: wenn wir uns treffen, dann bringen alles etwas mit, das wir miteinander teilen. Das kann Essen und Trinken sein. Dann gibt es ein buntes Büfett - bislang hat es immer für alle gereicht. Das können aber auch Erfahrungen sein, die wir mitbringen und teilen. Erfahrungen mit Gott, meinem Glauben, mit anderen Menschen, aus meiner Lebensgeschichte. Es können aber auch Nöte, Verluste und Verletzungen zur Sprache kommen. Oder Einsichten und Erkenntnisse.

Die Begegnung mit anderen Menschen lässt mich als Persönlichkeit wachsen und reifen. Ich bin noch nicht fertig. Auch nicht mit meinen Überzeugungen und Meinungen. Sie dürfen sich verändern, ja müssen sich veränderten Gegebenheiten anpassen. Und dazu brauche ich Ansichten und Einsichten von anderen Menschen, dazu brauche ich auch die Begegnung mit Gott. Darum gehe ich gerne in die Kirche. Da begegne ich Menschen, die auch Gott begegnen. Die einen Draht zu ihm haben. Die Gespräche, der Austausch mit ihnen bauen mich auf, ermutigen mich, geben mir Hoffnung. Klar gibt’s manchmal auch Differenzen und Konflikte. Aber im Großen und Ganzen erlebe ich die Leute in der Kirche entgegenkommend, freundlich und wertschätzend.

Wenn Sie sich also einsam und allein fühlen, suchen Sie andere Menschen auf! Gehen Sie in einen Verein! Oder in ein Stadtteilprojekt. Engagieren Sie sich ehrenamtlich! Sie werden sehen, es kommt unglaublich viel zurück, wenn wir anderen etwas geben. Oder gehen Sie wie ich in eine Kirche und nehmen sie an Kirchengemeindeveranstaltungen teil. Hier können sie Gott begegnen. Vielleicht machen sie dann die Erfahrung, dass Gott auch Ihnen begegnen will. Für mich ist das das Beste, was einem passieren kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41921
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