SWR4 Abendgedanken

08APR2025
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Vincent hat Downsyndrom. Er ist 23 Jahre alt und mäht gerne Rasen.

Sein Papa macht immer den Anfang, mäht einmal außen rum und dann darf Vincent loslegen. Er setzt die Kopfhörer auf und schiebt los. Sein Papa arbeitet dann irgendwas anderes. Nur ab und zu schaut er rüber, ob alles in Ordnung ist. Letztes Mal hat er dann gesehen, dass Vinzent gar nicht brav seine Bahnen mäht, sondern völlig kreuz und quer.

Er ärgert sich und denkt: „Was macht der Junge da nur.“ Und geht, um seinen Sohn einzuspuren. Doch noch bevor er bei ihm ist, hält Vincent an, nimmt seine Kopfhörer ab, strahlt über beide Ohren uns sagt: „Papa, es ist so cool, mal völlig kreuz und quer zu mähen.“ Auf einen Schlag fällt aller Ärger von ihm ab. Er merkt, die üblichen Bahnen zu mähen, das ist nur seine Vorstellung, wie man es richtig machen sollte. Wenn es Vincent so Spaß macht, ist doch alles perfekt. Als gäbe es nur einen richtigen Weg, einen Rasen zu mähen.

Die Vorstellung, dass es für alles ein klares richtig und falsch gibt, zeigt sich in vielen Situationen. Dass Menschen meinen, Dinge müssen auf eine ganz bestimmte Weise getan werden. Mir hat zum Beispiel jemand mal erzählt, wie wichtig es ist, jeden Tag einen Rosenkranz zu beten und, dass das jeder tun sollte. Das kann man schon so sehen. Und da ist nichts dagegen einzuwenden. Aber ich glaube, es ist nicht die einzige Art und Weise, wie man beten kann und sollte. Mir ist es zum Beispiel viel wichtiger morgens zu beten und dabei eine Bibelstelle zu lesen und abends eine Zeit lang still zu sein und nochmals auf den vergangen Tag zu schauen. Für mich ist es gut so zu beten, aber ich würde nie behaupten, dass das alle so tun müssen. Als würde es nur eine Art und Weise geben mit Gott zu sprechen…

Die Geschichte von Vincent und seinem Papa „erzählt“ mir etwas über Toleranz. Was für mich richtig ist, muss für andere noch lange nicht richtig sein. Auch, wenn ich noch so überzeugt von meiner Methode bin. Ich bin nicht das Maß aller Dinge. Wenn der andere es anders macht, Freude daran hat und es ihn zum Ziel führt, dann ist es richtig.

Was ich von Vinzent gelernt habe: Toleranz beginnt beim Rasenmähen.

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