SWR1 Anstöße sonn- und feiertags
Es war im Jahr 1995. Ich hatte gerade mein 1. Theologisches Examen bestanden. Jetzt stand die praktische Ausbildungsphase für einen angehenden Pfarrer an: meine Zeit als „Vikar“. Dafür hatte die Kirchenleitung für mich eine Stelle in Rottweil vorgesehen. Vor Beginn meiner Tätigkeit sollte ich mich meinem zukünftigen Lehrmeister vorstellen.
Mit der Bahn machte ich mich auf den Weg, von Tübingen nach Rottweil. Pfarrer Dilger hatte mir am Telefon zugesagt, mich am Bahnsteig abzuholen. „Wir werden uns dann schon erkennen…“ sagte er. Mein äußeres Erscheinungsbild unterschied sich fundamental vom heutigen: lange Haare, Ring im Ohr, Schlabberpulli, schwarze Lederhose. Er sollte mich ja schließlich so kennenlernen, wie ich bin.
Der Zug fuhr ein und ich stieg aus. Gleich fiel mir ein großgewachsener, etwas steif wirkender älterer Herr auf: heller Popeline Mantel, die Haare mindestens so grau wie meine heute. „Hoffentlich isch‘s der net.“schoss es mir durch den Kopf. „Hoffentlich ist es der nicht. - Aber natürlich war er es.
Das Kennenlerngespräch verlief etwas zäh. So auch die ersten Monate nach meinem Dienstbeginn. Meine erste Predigt in der altehrwürdigen barocken Kirche von Rottweil kommentierte er knapp: „Muss noch üben…“ Das saß.
Meinen Elan habe ich mir trotzdem nicht nehmen lassen: Habe in der Schule und im Konfirmandenunterricht, in der Jugendarbeit und bei Seniorennachmittagen „geübt“, vieles aber auch so angepackt, wie ich es für richtig hielt.
Im Lauf der Zeit ist Vertrauen zwischen uns gewachsen. Ich entdeckte den Humor meines Ausbildungspfarrers und er meinen ernsten Willen, etwas zu bewegen. Vollends brach das Eis, als ich anlässlich seines 60. Geburtstags eine kabarettistische Einlage zum Besten gab. Sein herzliches Lachen an diesem Abend habe ich heute noch vor Augen. Unsere Zusammenarbeit war von da an von Wertschätzung und gegenseitigem Respekt geprägt. Ich habe viel gelernt bei ihm. Dinge von denen ich bis heute profitiere. Zeitmanagement und Großzügigkeit. Klarheit in den Ansagen und auch Freiheit im Umgang mit manchen Vorgaben.
Besonders gerne erinnere mich an eines unserer letzten Ausbildungsgespräche. Ganz offen sprachen wir da auch über unsere erste Begegnung auf dem Bahnhof in Rottweil: Ich erzählte ihm, was mir damals durch den Kopf schoss: „Hoffentlich isch‘s der net.“ „Weisch was“, antwortete Wilhelm Dilger darauf lächelnd, „als ich dich sah, da dachte ich genau dasselbe. Hoffentlich isch‘ s der net.“
Doch wir waren es. Beide. Und es war gut so. Gott sei Dank.
Quelle: Weltspiegel: Elfenbeinküste: Kakao-Paradies – Kinderarbeit ade? - hier anschauen (23.03.2025)
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