SWR Kultur Wort zum Tag
Manchmal, wenn es mir zu viel wird mit der ganzen Geschäftigkeit in den Straßen der Stadt, oder auch mit meiner eigenen Umtriebigkeit, dann gehe ich in die Kirche, setze mich in eine Bank und lasse die Ruhe des Raums auf mich wirken. Ich wohne in Speyer, nicht weit von der Gedächtniskirche.
Und dann sitze ich einfach nur da. Manchmal minutenlang. Eingehüllt in Schweigen. Ich werde still. Und auch von außen dringen keine Geräusche auf mich ein. Mein Verstand, mein Herz, meine Seele kommen zur Ruhe. Und es fühlt sich an, als ob die Zeit auf einmal stehenbleibt.
Das tut mir gut. Weil ich dann spüre, dass es hinter der Zeit eine Ewigkeit gibt, die über meinem Leben liegt. Und auch über dieser Welt. Dass ich nur ein winzig kleiner Teil von ihr bin, nicht mehr als ein Sandkörnchen. Und über allem ist Gott, der Allmächtige und Ewige. Ich kann seine Gegenwart spüren. Im Raum. Und auch bei mir.
Dann bete ich. In aller Stille. Sage Gott in Gedanken, was mich sorgt, und was mir zu schaffen macht. Dass ich erlebe, wie Menschen ohne Scham die Wahrheit verdrehen. Dass Machthaber andere Länder überfallen und mit Krieg überziehen. Dass ein Freund von mir drei inoperable Hirntumore hat. Und es in seinem Leben jetzt nur noch um zwei Fragen geht: wie lange noch? Und mit welcher Lebensqualität?
Und dann sitze ich da. Verharre in der Stille. Aber die Stille, die mir gerade noch so gut getan hat, hat sich verändert. Denn jetzt ist es Gott, der schweigt. Und das ist schwer zu ertragen. Martin Luther hat diesen schweigenden, unbemerkbar in der Stille verharrenden Gott, den verborgenen Gott genannt. Den Deus absconditus. Im Lateinischen, merke ich, fällt es mir leichter, ihn zu ertragen, weil die Verborgenheit in der fremden Sprache eher wie ein geheimnisvoller Name klingt und nicht wie die offensichtliche Verweigerung einer Offenbarung.
Wie finde ich von diesem sich verbergenden, unzugänglichen Gott wieder zu dem Gott, der hilft und rettet und erlöst, wie es in so vielen Geschichten der Bibel steht? Ich muss gestehen, ich weiß es gerade nicht. Der Glaube an ihn ist da. Auch bei mir. Darum bin ich ja hier. Aber hier ist nur Stille. Und Schweigen. Ein Schweigen, das einfach nicht zu fassen ist.
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