Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Naturwissenschaften haben mich schon immer fasziniert. …… Lange wollte ich auch einen naturwissenschaftlichen Beruf ergreifen, die Chemie fand ich besonders interessant. Und dann hab ich doch ganz andere Fächer studiert, auch Theologie. In meinem Umfeld war das offenbar befremdlich. Von außen betrachtet schien das eine 180-Grad-Wende zu sein, und ich musste oft erklären, warum ich mich am Ende dann doch dafür entschieden hatte.
Für mich selbst war das nie so. Ich habe nie gedacht, Naturwissenschaft und Religion seien Gegensätze, so wenig wie Chemie und Theologie. Denn es geht um ganz unterschiedliche Fragen. Die Naturwissenschaft fragt nach dem Wie, wie etwas entstanden ist und wie es funktioniert, woraus es besteht und welche Funktion es im Ganzen einnimmt. Die Religion dagegen fragt nach dem Warum, warum überhaupt etwas ist, und wozu es da ist. Die Blickrichtung ist ganz unterschiedlich. Wenn ich mir das klarmachen will, dann hilft mir ein Bild: Es ist, wie wenn auf einen geschliffenen Edelstein Licht fällt. Je nachdem, woher das Licht kommt, werden einzelne Facetten beleuchtet, immer nur einzelne, nie der ganze Stein. Deshalb ist es eigentlich absurd, Naturwissenschaft und Religion gegeneinander auszuspielen. Mir hilft das Bild vom geschliffenen Edelstein mit seinen vielen Facetten. Es hilft mir zu verstehen, warum man die eine Wirklichkeit auf so verschiedene Weise sehen kann.
Vor drei Jahren wurde der Nobelpreis für Physik an den Quantenphysiker Anton Zeilinger verliehen. Der Naturwissenschaftler sagt: „Gott ist nicht fassbar“, deshalb kann man Gott weder beweisen noch widerlegen. Zeilinger selbst ist gläubig, und er sieht es als eine wichtige Aufgabe an, Wissenschaft und Religion zusammenzusehen. Er zitiert Werner Heisenberg, einen anderen Physiknobelpreisträger: „Der erste Trunk aus dem Becher der Naturwissenschaften macht atheistisch, aber am Grunde des Bechers wartet Gott.“
Wenn ich als Theologin das sagen würde, käme es mir überheblich und übergriffig vor. Und ich würde es auch anders ausdrücken. Aber Naturwissenschaftler dürfen das sagen und auch so denken. Auch die, die keinen Nobelpreis bekommen.
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