Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ein Hund kann Vieles, unglaublich Vieles. Und in manchem ist er uns haushoch überlegen. Er kann mindestens sechzigmal besser riechen als Menschen. Mit seinem sensationellen Geruchssinn kann er Drogen erschnüffeln und ebenso die Fährte vermisster Menschen. Und an unserem Geruch kann er sogar erkennen, ob wir gerade traurig sind oder gut gelaunt, ängstlich oder wütend. Im Vergleich mit einem Hund komm ich mir da vor wie ein primitives Pantoffeltierchen.
Aber der Geruchssinn ist nicht alles, in anderen Bereichen ist es gerade umgekehrt. Da kommt der Hund an seine Grenzen, wie sehr ich auch immer mit ihm trainieren würde.
Wenn ich einem Hund etwas zeigen will und mit dem Finger auf etwas deute, dann schaut der Hund nicht in die Richtung, in die mein Finger zeigt, sondern nur auf den Finger. Auch der cleverste Hund wird in dem Finger nicht mehr sehen als eine Geste, mit der ich ihm ein Kommando gebe.
Der große Psychiater Viktor Frankl hat diese Beobachtung festgehalten. Und er hat darin ein Bild gesehen. Ein Bild dafür, wie wir Menschen uns oft verhalten. Wenn wir etwas erleben, das wir nicht verstehen, dann starren wir oft auch nur auf das Ereignis, wie der Hund auf den ausgestreckten Finger. Stattdessen, meint Frankl, sollten wir damit rechnen, dass ein solcher ‚Zeigefinger‘ zugleich auch ein Fingerzeig sein könnte. Dass uns manche Ereignisse auf etwas hinweisen, was wir sonst gar nicht sehen würden.
Mir fallen da viele Beispiele ein. Während der Pandemie etwa haben wir gebannt auf den Finger der täglichen Corona-Ticker geschaut mit ihren verwirrenden Zahlen und Fakten. Damals konnten wir noch nicht sehen, wohin der Finger zeigt, allenfalls manches ahnen. Aber meistens könnten wir mehr sehen, viel mehr, wenn wir nicht nur auf den ‚Finger‘ starren würden. Ein solcher Zeigefinger ist auch die Erderhitzung. Die müssten wir dringend als Fingerzeig verstehen. Um nicht nur die Temperatur zu messen, sondern auch die Ursachen anzugehen und entschieden umzusteuern.
Anders als ein Hund sind wir dafür geschaffen, Fingerzeige zu verstehen, und damit auch die Folgen unseres Verhaltens abzuschätzen. Damit haben wir auch Verantwortung. Allem voran die Verantwortung, die Erde zu erhalten, unser gemeinsames Haus. Als Lebensraum, für uns selbst und für unsere Mitgeschöpfe.
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