SWR Kultur Wort zum Tag

20MRZ2025
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Eines Tages, so erzählt der kurdische Dichter Sherko Bekas, eines Tages saßen ein Blinder, ein Tauber und ein Stummer eine Zeitlang auf einer Parkbank beieinander. Sie saßen aufrecht und waren heiter. Der Blinde sah mit den Augen des Tauben. Der Taube hörte mit den Ohren des Blinden. Der Stumme verstand beide an der Bewegung ihrer Lippen. Alle drei gemeinsam rochen sie den Duft der Blumen.

So stelle ich mir den Frieden vor! Ich glaube auch, wir brauchen solche poetischen Bilder, um den Duft des Friedens nicht aus der Nase zu verlieren. Um uns nicht zu gewöhnen an den Gestank der Missgunst und der Feindseligkeit. Für mich klingt die kleine Geschichte wie ein Widerhall einer biblischen Friedensvision. Die steht im Buch des Propheten Sacharja. Da heißt es: „Ein Mensch wird den andern einladen. Und ihr werdet in Frieden beieinander wohnen unter Weinstock und Feigenbaum.“ Wie schön wäre das, denke ich mir, aber wie weit weg ist das auch!

Dennoch, der Frieden zieht uns an mit seinem Duft. Duftforscher sagen uns, wie wichtig unser Riechvermögen für eine gute Orientierung ist. Wer sich gut riechen kann, bleibt zusammen. Und bildet vielleicht eine Gemeinschaft. Wer sich nicht riechen kann, geht schnell getrennte Wege. So eine friedliche Gemeinschaft ist ja nicht der Normalfall. Eher die Ausnahme. Im Normalfall dominieren unterschwellige und offene Konflikte. Meist geht es dabei um Macht. Um die Vergrößerung des eigenen Terrains. Um Genugtuung für eine Kränkung. Manchmal auch um Rache.

Darum spielt in der Welt der Bibel der Schalom, der Friede, eine so große Rolle. Und meint viel mehr als nur das Schweigen der Waffen. Nämlich Wohlergehen, Glück und Segen, Ruhe und Sicherheit.

Eben weil der Frieden so kostbar ist - das Besondere, nicht das Normale - eben darum brauchen wir solche Visionen, die unser Handeln zu ihm ziehen. Die Lust machen, uns in den Dienst unserer gemeinsamen Sehnsucht nach Frieden und gutem Zusammenleben zu stellen. Wie der Blinde, der Taube und der Stumme auf der Bank. Damit der Frieden nicht verduftet wie ein abgestandenes Parfüm. Sondern uns jeden Tag neu auf den Geschmack bringt.

 

Das Gedicht entstammt dem Band „Geheimnisse der Nacht pflücken“ von Sherko Bekas, Unionsverlag 2019

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