Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
„Ich weiß, was ich kann“, sagte mir meine Tochter, als wir miteinander telefonierten. Sie macht gerade ihre Facharztausbildung und in ihrem Job ist das enorm wichtig: Zu wissen, was man kann. Und vor allem: Zu wissen, was man alles (noch) nicht kann. Das gilt zwar auch für andere Jobs. Aber wo es um Leben und Gesundheit von Menschen geht, da kommt es besonders darauf an, die eigenen Grenzen realistisch einzuschätzen. Leute, die sich für viel toller halten als sie sind, die gibt es schließlich genug. Und weil sie sich oft maßlos überschätzen, richten sie Unheil und Schaden an. Im Straßenverkehr, in zwischenmenschlichen Beziehungen, in ihrem Job.
Zu wissen, was ich kann und besonders, was nicht, dafür gibt es im Deutschen ein ganz wunderbares Wort: Demut. Ein Wort, das auch in der christlichen Botschaft einen wichtigen Platz hat. Wer demütig werden will, der sollte deshalb vor allem ehrlich mit sich selbst sein. Demut bedeutet nämlich nicht, verdruckst und mit eingezogenem Kopf durchs Leben zu huschen. Auch als demütiger Mensch kann ich selbstsicher auftreten. Aber ich weiß eben, wo meine Grenzen sind. Weil kein Mensch alles können und wissen muss. Und weil ich selbstbewusst zu dem stehen darf, was ich nicht weiß oder kann. Das macht mich nicht schlechter oder minderwertiger als andere.
In der Bibel gibt es einen Satz, der das für mich ganz gut auf den Punkt bringt: Lernt von mir, sagt Jesus da, denn ich bin gütig und von Herzen demütig; und ihr werdet Ruhe finden für eure Seele. (Mt 11,29) Genau das wünsche ich mir nämlich auch: Ruhe finden für meine Seele. Und das kann dann heißen: Ich muss gar nicht toller und größer erscheinen, als ich bin. Muss mich nicht aufplustern, aber auch nicht klein machen. Kann meinen Weg gehen, aufrecht und demütig. Weil ich weiß, wer ich bin und was ich kann.
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