SWR Kultur Wort zum Tag
Poetisch nennt sie sich die „Stadt der Tore, Türme und Giebel“. Und ja, sie ist wirklich ein schmuckes Städtchen mit einer alten Stadtmauer, farbigen Häuserfassaden am Marktplatz und einem Bach, der durch ihre mittelalterlichen Gassen plätschert. Die Stadt Memmingen gibt sich aber auch oberschwäbisch bescheiden, denn sie dürfte sich genauso brüsten, der Ort der ältesten Erklärung der Menschenrechte zu sein. Im Saal der ehemaligen Krämerzunft, den man noch besichtigen kann, haben sich nämlich im März 1525, also vor 500 Jahren, ein paar Dutzend Bauern aus dem ganzen Südwesten getroffen und ihre Forderungen zu Papier gebracht. In zwölf bemerkenswerten Artikeln. Ich staune beim Lesen. Klug und besonnen argumentieren sie. Und sehr selbstbewusst. Lange vor der französischen Revolution, lange vor der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung ist hier zum ersten Mal ein allgemeiner Ruf nach Freiheit formuliert. Gleichheit und Brüderlichkeit stehen noch nicht auf dem Zettel. Denn die Verfasser erkennen die für sie gottgegebene Ordnung der Welt an. Die Verhältnisse auf den Kopf stellen wollen sie nicht. Aber innerhalb dieser bestehenden Ordnung fordern sie gerechte Verhältnisse: Teilhabe an natürlichen Ressourcen wie Wasser, Weideflächen und Wald. Sie verlangen eine angemessene Besteuerung und wenden sich gegen jede Form von Willkür in der Rechtsprechung. Die Leibeigenschaft soll abgeschafft werden, denn, so steht es im dritten Artikel: „Christus hat uns alle erkauft mit seinem kostbaren Blut, den Hirten genauso wie den Höchsten, keinen ausgenommen.“ Die zwölf Memminger Artikel nehmen den Reformator Martin Luther beim Wort. Er hat gerade den Bestseller „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ geschrieben. Wie Luther zitieren die Bauern selbstbewusst aus der Bibel: „Damit ergibt sich aus der Schrift, dass wir frei sind, und das wollen wir sein. Aber nicht, dass wir ganz und gar frei sein und keine Obrigkeit haben wollten. Das lehrt uns Gott nicht.“ Ich finde: Eine grandiose Grundlage für Verhandlungen mit der gegnerischen Seite. Und tatsächlich verhandelt ein Schwäbischer Bund aus Fürsten, Klöstern und Städten mit den Bauern darüber. Aber als manche Bauerngruppen im Freiheitsrausch Burgen und Klöster zerstören und brandschatzen, formieren die Fürsten schnell ihre Heere. Sie beenden den Bauernkrieg mit Gewalt. Der Aufstand von Bauern, Bergarbeitern und Handwerkern wird niedergeschlagen. Aber ihre Ideen wirken fort.
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