SWR1 3vor8

16MRZ2025
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„Du hast einen seltsamen Beruf“, hat meine Tochter neulich zu mir gesagt. „Du redest über einen, der gestorben ist und der trotzdem allmächtig sein soll. Das geht irgendwie nicht beides. Jesus ist seltsam.“

Einem Mann namens Nikodemus kam Jesus auch reichlich seltsam vor. Er hat gefragt: „Was hat Gott mit uns und mit dieser Welt vor? Und was hast du damit zu tun, Jesus?“ diese Fragen treiben Nikodemus um. Die Bibel erzählt, dass Nikodemus Jude ist. Er ist auch Mitglied des Hohen Rats in Jerusalem, des höchsten jüdischen Gerichts, das über wichtige religiöse Fragen verhandelt. Aber dann taucht dieser seltsame Jesus auf und gibt allem eine neue Richtung. Es scheint, als würde  Jesus Gott besonders nahe stehen.

Nikodemus sucht Jesus darum allein auf, im Schutze der Nacht  mit all den Fragen, die ihn schon so lange plagen. Und mit den neuen, die plötzlich in ihm auftauchen (Joh 3). Was Jesus ihm erzählt, klingt wirklich seltsam: „Ich bin das Heilmittel für diese Welt. Wenn ich ans Kreuz geschlagen werde, dann ist das sinnvoll. Denn durch meinen Tod bekommen alle Menschen das ewige Leben.“

Wenn ich das heute, 2000 Jahre später höre, klingt das immer noch höchst seltsam: Dieser Jesus am Kreuz soll das Heilmittel der Welt sein? Einer, der sich nicht gewehrt hat, der sich willig in sein Schicksal ergeben hat? Der alles ertragen hat: Anschuldigungen, Misshandlungen und den Tod am Kreuz? Seltsam.

Das Wort „seltsam“  bedeutet ursprünglich „selten zu sehen“. Und das hat Nikodemus verstanden: Dass dieser Jesus im wahrsten Sinne des Wortes seltsam ist. Dass es nämlich einen wie Jesus äußerst selten zu sehen gibt. Einen, der auf alle äußerliche Macht verzichtet. Einen, der konsequent der Liebe treu bleibt.

Jahre später, als Jesus zum Tod verurteilt wird, bringt Nikodemus den Mut auf,  Jesus gegen alle anderen zu verteidigen (Joh 7,50.51). Und nach Jesu Tod hat Nikodemus keine Angst zu zeigen, wie sehr Jesus ihn beeindruckt hat. Er hilft, Jesu Leichnam für die Beerdigung fertig zu machen (Joh 19,39). Obwohl Nikodemus riskiert, selbst verhaftet zu werden, verabschiedet er Jesus so liebevoll und nimmt damit der Gewalt ein Stückchen von ihrer Macht. Ich bekomme eine Ahnung davon, was die seltsamen Worte von Jesus bedeuten. Wie mächtig sein Verzicht auf Macht und Gewalt war. Wie klar die Liebe Gottes durch ihn in die Welt scheint.

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