SWR1 Begegnungen

16MRZ2025
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Jan Frerichs OFS copyright: Joschka Link

Heute mit Martin Wolf und mit Jan Frerichs. Wir treffen uns in Bingen, wo er lebt. Jan Frerichs war mal Franziskanermönch. Heute ist er verheiratet und hat zwei Söhne. Der Ordensfamilie der Franziskaner ist er aber treu geblieben. Er gehört nun dem franziskanischen Orden der Weltleute an, die eine Familie haben dürfen und nicht im Kloster leben. Wie sehr die Spiritualität des Heiligen Franz von Assisi ihn geprägt hat, das merkt man schnell, wenn man mit ihm spricht. Unter dem Label barfuss + wild bietet er Kurse an für Menschen, die spirituell auf der Suche sind. Und „wild“ meint hier durchaus Wildnis, Natur, Schöpfung. Etwas also, das ich nie im Griff habe. Für ihn ein guter Ort für geistliche Erfahrungen.

 

Für mich ist das Gegenteil von Glauben auch nicht Zweifeln. Das Gegenteil von Glauben ist für mich Kontrolle. Also wenn du das Gefühl hast, du kannst hier die Kontrolle behalten und du weißt eigentlich schon alles, dann brauchst du nicht zu kommen. Der wilde Raum ist immer der, wo die Antwort nicht schon klar ist, sondern wo ich sie erst finde.

 

Aber auch die uralten kirchlichen Traditionen, sagt er, können Menschen bei ihrer geistlichen Suche helfen.

 

Auch das Unverfügbare bedarf eines Rahmens. Oder sagen wir mal so: Wenn ich jetzt ein Wasser trinken möchte, ist es gut, wenn ich ein Glas habe, weil, dann kann ich das Glas benutzen, das Wasser da reintun und dann trinken. Was wir erleben ist, dass wir uns aufgehört haben mit dem Inhalt zu beschäftigen, sondern nur noch mit dem Glas beschäftigen. Und genauso ist es in spirituellen Dingen. Es ist gut, einen Rahmen zu haben, in dem ich mich bewegen kann. Aber der Fokus ist der Inhalt. Das ist das entscheidende Bild.

 

Um mal in diesem Bild zu bleiben: Suchen Menschen, die zu ihm kommen, also quasi nach diesem Wasser?

 

Sie suchen das Wasser, das tatsächlich den Durst stillt. Ist ja ein uraltes Bild. Jesus benutzt das Bild. Trink aus dieser Quelle und dein Durst wird gelöscht sein, sagt er ja.

 

Und ihren Durst nach Sinn, den können diese Menschen bei den Kirchen also nicht mehr stillen?

 

Durch die Bank könnte man sagen: Alle, die da so zusammenkommen bei barfuß + wild, die haben ihre spirituelle Heimat verloren, so die Orte, die es gab. Kirche als Institution, Gemeinde vor Ort, was auch immer man jetzt da einsetzt, das trägt nicht mehr. Vielleicht ist es auch eine bestimmte Frömmigkeit, die nicht mehr trägt. Der Kinderglaube, der einfach an seine Grenze gekommen ist. Wo ist ein Raum, in dem ich eine Antwort für mich suchen kann? Das ist eigentlich die Grundfrage.

 

Und so einen Raum für neue geistliche Erfahrungen möchte er Menschen bieten. Gibt es denn noch mehr, dass die Menschen, die zu ihm kommen, verbindet?

 

Die stehen auch im Leben alle an einer bestimmten Schwelle. Also, es kommt ein Zeitpunkt im Leben, wo klar ist, es liegt mehr hinter mir als vor mir. Und wenn auch klar wird, dass all das, worüber ich mich identifiziert habe bisher nicht mehr trägt - und diesen Prozessen einen Raum zu geben und aus den Erfahrungen unserer Vorfahren und aus unserer religiösen Tradition zu schöpfen, das ist eigentlich so ein bisschen das, was wir machen bei barfuß + wild.

 

Was es mit dieser „Schwelle im Leben“ auf sich hat, das hat mich interessiert und darüber spreche ich mit Jan Frerichs auch gleich nach der Musik.

 

Ich bin Martin Wolf und begegne heute Jan Frerichs. Aus der alten franziskanischen Tradition heraus macht er Angebote für Menschen von heute, die auf Sinn-Suche sind. Und oft ist er dabei mit ihnen draußen, in der Natur.

 

Wenn ich in die Natur schaue, dann kann das sehr lehrreich sein. Leben ist immer ein Prozess. Und es gibt in diesem Prozess auch den Part des Loslassens. Jeden Tag sehen wir das. Es gäbe überhaupt kein Leben, wenn es keinen Tod gäbe. Und Tod ist Loslassen. Und Tod heißt auch: Das Alte löst sich auf und aus diesem Alten wächst Neues. Aber das Neue kann nur kommen, wenn das Alte auch wirklich Platz macht.

 

Wobei es gar nicht um den physischen Tod gehen muss. Denn auch mitten im Leben heißt es ja immer wieder: Loslassen. Lebensabschnitte, die zu Ende gehen und nicht wiederkommen. Eine Freundschaft. Ein jahrzehntelanges Berufsleben.

 

Wenn wir uns ehrlich machen, sterben wir ja die ganze Zeit an jeder kleinen Schwelle im Leben. Meine Kinder sind jetzt 13 und 15. Ich gucke die an und denke: Wo sind eigentlich meine Kinder? Die kommen nicht wieder. Auf einer gewissen Ebene ist da auch etwas zu Ende gegangen. Und die Frage kann sein: haben wir die eigentlich gut genug verabschiedet, diese Zeit? Und haben wir die neue gut begrüßt? Das sind die Lebensübergänge.

 

Dass die erste Lebenshälfte ganz andere Fragen stellt als die zweite, das merke ich auch an mir selbst. Gibt es denn einen bestimmten Punkt im Leben, an dem ich weiß: Jetzt beginnt die zweite Hälfte?

 

Es geht nicht um die Lebensjahre. Ich habe mal beim ZDF im Kinderprogramm gearbeitet. Wir haben Sendungen gemacht über krebskranke Kinder, die haben mit zehn, elf Jahren Dinge gesagt, die ich von manchen Senioren noch nicht gehört habe. Das Leben hat sie schon in die zweite Lebenshälfte gebracht, weil sie sich eben zum Beispiel mit der Endlichkeit auseinandersetzen mussten. Es geht um Kontrollverlust an diesen Schwellen, und wie gehe ich damit um. Wie gehe ich also mit diesen Dingen um, die mir natürlich auch meine Begrenztheit deutlich machen? Das ist zweite Lebenshälfte.

 

Geht es letztlich also um die uralte Frage nach dem Sinn meines Lebens? Und darin vielleicht auch um die Frage nach Gott?

 

Es geht darum, wie ich mein Leben leben kann, wie ich mit den Fragen umgehe, die mein Leben mir auch stellt. So sind die Lebenshälften auch nicht nacheinander, sondern es sind zwei Qualitäten und ich wachse in die zweite hinein, das Innere, das Große und Ganze. Mystik ist die Erfahrung des Ganzen, Erfahrung Gottes. Gott ist ein Wort für das Ganze. Für das Sein, für das Da-Sein.

 

Ein Wiederentdecken also der christlichen Mystik.

 

Und an der Stelle bräuchte es Exerzitienhäuser, Orte der Einkehr, spirituelle Orte, das, was wir früher Frömmigkeit genannt haben. Damit die Leute, eine gute Erfahrung machen, die sie wirklich trägt im Leben.

 

 

 

www.barfuss-und-wild.de

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41774
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