SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
„Vertrauen ist der Anfang von allem.“ Das war mal ein erfolgreicher Werbeslogan einer großen Bank. Ob er da wirklich immer so gepasst hat, das weiß ich nicht. Aber grundsätzlich stimmt der Satz ja. Denn wenn ich nichts und niemandem mehr vertraue, dann werde ich es mächtig schwer haben. Wer vertrauen kann, hat es einfach leichter im Leben. Dabei fängt Vertrauen tatsächlich schon beim Geld an. Wenn ich etwa nicht mehr darauf vertrauen kann, dass mein 50-Euro-Schein auch in zwei Wochen noch genau 50 Euro wert ist, dann habe ich ein echtes Problem. Wenn ich Menschen, die ein politisches Amt innehaben, grundsätzlich nicht vertraue, dann hat unsere Demokratie ein Problem. Und wenn ich überhaupt niemandem mehr vertraue, der mir begegnet, dann werde ich schon bald nur noch ein missmutiger und ziemlich einsamer Mensch sein. Misstrauen entfremdet Menschen voneinander, macht echte Nähe unmöglich, zerfrisst jede Beziehung. Man könnte den Satz darum auch umdrehen: Misstrauen ist das Ende von allem.
Weil Vertrauen so unglaublich wichtig ist, spricht auch die Bibel immer wieder davon. Schon ganz am Anfang, im allerersten Buch. Da wird von Abraham erzählt. Bis heute spielt der für den Glauben von Juden, Christen und Muslimen eine entscheidende Rolle. Die Geschichte geht so: Jahre zuvor schon hatte Gott dem Abraham, der als Nomade in der Wüste lebte, und seiner Frau Sara versprochen, dass sie mal ganz viele Nachkommen haben werden. Das Problem war nur: Die beiden haben bis dato einfach keine Kinder bekommen. Trotzdem vertraut Abraham blind auf Gottes Zusage. Danach jedoch passiert dann viele Jahre einfach gar nichts. Eines nachts nun, in einer Vision, wendet sich Abraham erneut an Gott. Er will wissen, was denn nun aus Gottes damaligem Versprechen geworden ist. „Das wird doch eh nichts mehr mit Kindern“, hält er Gott vor. Und Gott? Wiederholt einfach sein Versprechen. Mehr noch. Er schickt Abraham nach draußen, vor sein Zelt. In den Nachthimmel über der dunklen Wüste soll er schauen - in jenes grenzenlose Meer an Sternen, das man nachts dort sehen kann. So viele Sterne, wie du da oben siehst, so zahlreich werden mal deine Nachkommen sein, verspricht ihm Gott. Manch einer hätte da wohl gesagt: „Na klar, wer‘s glaubt wird selig.“ Aber Abraham vertraut ihm. Wieder mal. „Und das“, so heißt es in der Bibel, „rechnete Gott ihm als Gerechtigkeit an“.
Für mich gehört diese Geschichte vom nächtlichen Sternenhimmel zu den schönsten in der Bibel. Weil sie so viel darüber erzählt, was Glauben bedeutet. Nämlich, vertrauen zu können. Grenzenlos. Gegen jede Einflüsterung, die mir sagen will: Ist doch alles Quatsch. Bringt ja eh nichts. Ein Mensch der vertrauen kann, der kann glauben.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Ein geflügeltes Wort, das sich schon lange in unserer Alltagssprache eingenistet hat. Ist ja auch was dran. Wenn es um Abrechnungen oder Bankauszüge geht. Um Firmenvertreter, die an der Haustür klingeln. Um unbekannte Anrufer, die mir irgendwas aufschwatzen wollen. Und obwohl wir das im Prinzip ja alle wissen, fallen trotzdem Menschen darauf rein. Weil sie anderen vertraut haben, obwohl gesundes Misstrauen und Kontrolle sinnvoller gewesen wären.
Aber auch in Glaubensfragen halten es viele heute eher mit Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser und gehen lieber auf Abstand. Vielleicht, weil ja bisher noch keiner irgendeinen Gott gesehen oder bewiesen hat. Weil jene, die an so einen Gott glauben, immer so ein Geruch von Selbstbetrug umweht. Der Verdacht, dass sie sich etwas zurechtphantasieren, was es nicht gibt und nie gegeben hat. Eine Krücke für schwache Gemüter eben, die mit den Zumutungen der realen Welt nicht klarkommen und sich darum was vormachen müssen. Ich kann Menschen, die so denken, sogar verstehen. Glauben in einer rationalen, durchorganisierten Welt ist eine ständige Zumutung. Auch für mich.
Als ich vor einigen Jahren am Sarg meines Vaters gestanden habe, da habe ich zu ihm gesagt: „Wir sehen uns wieder!“ Ich weiß noch, dass mir damals Zweifel kamen, noch während ich das sagte. Wird das so sein? Machst du dir nicht was vor? Zweifel gehören aber dazu, sind die Rückseite jedes erwachsenen Glaubens. Und doch kann ich noch immer glauben, was ich damals gesagt habe. Weil ich immer noch auf diesen Gott vertraue. Denn wenn ich dieses Vertrauen nicht hätte, dann würde letztlich auch der Satz, dass die Liebe stärker ist als der Tod, keinen Sinn mehr machen. Auch so ein Satz aus der Bibel. Ich kann ihn sogar spüren, immer wieder.
Hier kommt Abraham nochmal ins Spiel, der schließlich doch noch Kinder bekam, gegen jede Lebenserfahrung. Abraham, den nichts und niemand erschüttern konnte in seinem Vertrauen auf Gottes Zusage. Oder anders gesagt: In seinem Glauben. Damals, am Sarg meines Vaters, habe ich gemerkt: So unerschütterlich glauben wie dieser Abraham kann ich nicht. Aber vertrauen will ich trotzdem darauf, dass das Leben und die Liebe größer sind als der Tod. Und dass an Gottes Wort, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, etwas dran ist. Vertrauen ist vielleicht nicht der Anfang von allem. Aber es ist der Anfang des Glaubens.
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