SWR4 Abendgedanken
„Sei doch kein Thomas!“ – das habe ich vor kurzem zu meiner Freundin Anne gesagt. Es ging eigentlich nur um eine Kleinigkeit. Wir haben diskutiert, ob man in Italien nach 11 Uhr noch einen Cappuccino bestellt oder nicht. Ich war mir sicher: Nein. Aber Anne hat lieber gegoogelt, anstatt mir zu vertrauen. Ich also: „Sei doch kein Thomas!“, und Anne hat mich mit verwirrtem Blick angeschaut. Wer ist denn jetzt Thomas?
Thomas ist ein besonders guter Freund von Jesus, und das, was eben so typisch für ihn ist, das passiert, nachdem Jesus am Kreuz gestorben ist. Alle denken: jetzt ist alles vorbei, aber dann taucht Jesus wieder auf. Er kommt also zurück in ihr Leben, obwohl er eigentlich ja tot ist. Er erscheint vielen seiner Freunde, aber nicht Thomas. Der glaubt ihnen auch kein Wort, als sie diese völlig abstruse Geschichte von der Auferstehung erzählen. Für mich voll verständlich, was Thomas dann sagt: „Erst, wenn Jesus vor mir steht, und ich mit meinen eigenen Fingern seine Wunden berühren kann, dann glaube ich, dass er lebt.“ Das lässt Jesus nicht auf sich sitzen und erscheint kurz darauf auch ihm. Nicht ohne zu bemerken: „Du kannst mich jetzt sehen, Thomas, aber besonders glücklich sind die, die auch ohne Beweise glauben.“
Das ist also der typische Thomas-Moment: Wenn ich erst glauben kann, wenn es echte Beweise gibt. Bei Anne und dem Cappuccino war es so: Sie konnte das erst glauben, als sie es im Handy quasi schwarz auf weiß hat stehen sehen. Keine große Sache erstmal.
So wie auch bei mir neulich: Ich wollte selbst unbedingt nochmal checken, wann unser Zug genau abfährt. Und meine Schwester, die mit mir unterwegs war, konnte ich nicht einfach beim Wort nehmen.
Hier geht es um Glauben, und zwar in dem Sinne, dass ich etwas nicht nachprüfen kann und muss und trotzdem vertrauen habe. Das ist manchmal wirklich schwierig. Dabei kann es so entlastend sein, wenn ich vertraue. Denn dann teile ich Verantwortung. Dann muss ich nicht alles komplett überprüfen und alleine absichern. Ich kann vielleicht loslassen und den Moment genießen.
Wenn ich jetzt also zu meiner Freundin Anne sage: „Sei doch kein Thomas“, will ich eigentlich sagen, „vertrau mir“.
Clarissa Wolk aus Mannheim von der katholischen Kirche
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