SWR Kultur Wort zum Tag
80 Jahre ist es her, dass die Nazi-Herrschaft endlich zu Ende ging. Ich war sieben Jahre alt, und noch heute höre ich das Geraune der Erwachsenen damals Ende April 1945: „der Führer ist tot“. Seit Beginn dieses Jahres nun häufen sich deshalb die 80-jährigen Gedenktage: die Befreiung von Auschwitz, aber eben auch die Hinrichtung so vieler Kämpfer für ein neues Deutschland: Graf Moltke, Alfred Delp und Anfang April Admiral Canaris, Dietrich Bonhoeffer und so viele andere noch.
Im Vergleich zu damals haben wir gewiss privilegierte Zeiten. Nie sollten wir vergessen, wem wir diese Erfolgsgeschichte namens „freiheitlich demokratische Grundordnung“ verdanken. Aber rosig sieht es derzeit bei uns keineswegs aus: zu groß sind Verteilungsnöte und Verlustängste, zu unklar ob es bergauf oder bergab geht, zu verwirrend die weltpolitischen Verhältnisse. 80 Jahre danach geht erneut das Gespenst des Nationalegoismus um, Hasstiraden und Hetzkampagnen nehmen zu, Schwarz-Weiß-Malerei gefährdet Gespräche und Kompromisse. Wo sind die Kräfte, die zusammenführen und für Zusammenhalt kämpfen, für wirklich gerechte Verhältnisse? Damit nicht wie damals das Recht der Stärkeren wieder das letzte Wort gewinnt und militante Minderheiten die Macht ergreifen?
Vor 80 Jahren, zehn Tage vor seiner Hinrichtung, schrieb der Jesuitenpater Alfred Delp an sein Patenkind: „Ich möchte, dass du verstehst, was ich gewollt habe, wenn wir uns nicht richtig kennen lernen sollten in diesem Leben; das war der Sinn, den ich meinem Leben setzte, besser, der ihm gesetzt wurde: die Rühmung und Anbetung Gottes mehren; helfen, dass die Menschen nach Gottes Ordnung und in Gottes Freiheit leben und Menschen sein können“. Das klingt wie die Quadratur des Kreises: „Ordnung“ und „Freiheit“ zusammen, und das im Vertrauen auf jene gute Schöpfermacht, die alles im Innersten zusammenhält. Aber genau darum ging es damals, in einem neuen Deutschland sollten Mitmenschlichkeit und Menschenrechte das Sagen haben, nicht Eigensucht und Fremdenhass. Christenmenschen wie Delp, Moltke, Bonhoeffer und manch andere sonst gehören zu den geistigen Gründervätern unseres Staates - und das in schwierigsten Zeiten. Sie haben sich eingemischt und nicht lockergelassen. Wie gut, wenn wir solch mutige Leute im Boot haben, in dem Boot, in dem wir alle sitzen.
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