SWR3 Gedanken
Ich habe mir das Video schon um die 20 Mal angeschaut*: Mariann Budde, die Bischöfin von Washington, predigt beim Gottesdienst zur Amtseinführung des neuen Präsidenten Donald Trump. Der sitzt zusammen mit Melania, J.D. Vance und dessen Frau und seiner Entourage in der ersten Bank und kann nicht weglaufen. Eine Kameraeinstellung zeigt die zierliche Frau am Ambo. Die andere fängt die verachtenden, genervten und eiskalten Blicke von Trump und seiner Gefolgschaft ein, während Bischöfin Budde auf „Mercy“ zu sprechen kommt – auf einen Kernbegriff des christlichen Glaubens: Mercy. Barmherzigkeit. Erbarmen. Ein uralter Begriff. Der an diesem Morgen so hell leuchtet, wie lange nicht mehr. Weil er den Nerv trifft. Budde sagt: „Im Namen Gottes bitte ich sie um Barmherzigkeit für die Menschen in unserem Land, die jetzt Angst haben.“ Und dann nennt sie sie beim Namen: Menschen, die tagsüber in der Fleischindustrie arbeiten oder die Tische in Restaurants abwischen, nachdem US-Bürger dort gegessen haben. Oder nachts die Schicht in Krankenhäusern übernehmen oder Büros reinigen: Die nun fürchten das Land verlassen zu müssen oder von ihren Kindern getrennt zu werden, weil sie keinen Pass haben. Und sie bittet für schwule, lesbische oder transgender Menschen, die Angst haben, dass da wieder einer vorschreibt, wen sie zu lieben haben und wen nicht. Knapp zwei Monate nach Amtsantritt sehe ich keinerlei Anzeichen dafür, dass Trump und seine Leute Mariann Budde zugehört haben. Im Gegenteil. Aber: Millionen Menschen in den USA und rund um den Globus haben zugehört. Und es liegt nun an uns allen mehr denn je zusammenzuhalten, uns nicht spalten zu lassen, das Gute zu bewahren und diese Botschaft zu leben-, jede und jeder an seinem Ort: Mehr Mercy wagen!
*Instagramkanal von Mariann Budde (@mariannbudde)
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