Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12MRZ2025
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„Was ist Reichtum für Sie?“ Das frage ich mein Gegenüber: Einen Mann, der in der letzten Nacht und viele Nächte davor draußen geschlafen hat, der sein ganzes Hab und Gut mit in die Kirche gebracht hat. Einen Mann, der auf der Straße lebt und heute froh ist, dass er in der Vesperkirche ein warmes Essen und einen Kaffee bekommt. In der kalten Jahreszeit, die so langsam zu Ende geht, gibt es in ganz Deutschland Kirchen, die als Vesperkirchen ihre Türen öffnen und Mahlzeiten sowie Möglichkeiten zum Gespräch und einem Arztbesuch anbieten.

„Was ist Reichtum für Sie?“ Ich frage ihn, weil ich neugierig bin. Weil ich mein Gegenüber besser verstehen will. Und später auch gerne davon erzählen möchte: Im Seniorennachmittag, bei meinen Konfis oder auch im Sonntagsgottesdienst. Und er antwortet:

„Reichtum ist das, was man von Herzen gibt und nicht von anderen nimmt.“ Mich berührt die Antwort, weil sie so viel tiefer ist, als die einfache Vorstellung von Reichtum „viel zu besitzen“. Wahrer Reichtum also: in der Lage zu sein, etwas zu geben. Vor allem: etwas zu geben, das man nicht anderen weggenommen hat. Andere Antworten, die ich noch an diesem Morgen bekomme, sind nicht weniger beeindruckend: „Reichtum bedeutet für mich, inneren Frieden zu haben und liebe Menschen um mich herum“ oder ganz simpel: „Zufriedenheit“.

Viele in der Vesperkirche sehnen sich trotzdem auch nach ein bisschen mehr „klassischen“ Reichtum. Dass sie selbst entscheiden können, wann und was sie sich zum Essen kaufen. Nicht von anderen abhängig sind. Und trotzdem habe ich den Eindruck, dass meine Gesprächspartner viel mehr als ich verinnerlicht haben, dass es mit dem materiellen Wohlstand nicht getan ist. Dass wahrer Reichtum erst im Miteinander entsteht.

Darum beschäftigt mich auch immer noch eine Frage, die mir eine Gesprächspartnerin zurückgestellt hat:  Warum können reiche Menschen nicht so gut teilen, wie wir Armen? Ich hatte keine Antwort. Hab innerlich natürlich sofort die Aussage angezweifelt, an die vielen Menschen gedacht, die sehr wohl auch etwas abgeben von ihrem Reichtum. Aber die Frage liegt mir trotzdem immer noch im Ohr. Warum können Reiche nicht so gut teilen, wie Arme? Denn wenn sie es könnten, dann gäbe es doch bestimmt nicht so viele Menschen, die wenig oder nichts haben? Mir kommen Worte eines mittellosen Wanderpredigers in den Kopf: „Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt.“ Es ist Jesus von Nazareth, der von diesem Himmel erzählt. Und ich bin mir sicher, dass man dort auch weiß, dass Reichtum das ist, was man von Herzen gibt und nicht von anderen nimmt.

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