Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Vor einer Woche gab es den nächsten Anschlag. Schon wieder ein Auto, das in eine Menschenmenge fährt. Schon wieder unschuldige Menschen, die zu Tode kommen.
Und ich habe gemerkt, dass ich, als ich die Eil-Meldung in Gelb auf der Nachrichtenseite aufblitzen gesehen habe, sofort im Nachrichtentext gesucht habe, ob schon etwas über die Herkunft des Täters geschrieben wird.
Weil ich die Befürchtung hatte, dass Menschen vorschnell Schlüsse aus der Herkunft des Täters ziehen. Denn selbst wenn die Herkunft des Täters bekannt ist: Es gibt so viele Fragezeichen. Vielleicht war es eine islamistische Tat? Vielleicht war der Täter psychisch erkrankt? Vielleicht war es aber auch eine Tat aus Hass gegen den Islam?
Mich hat erschrocken, dass ich gedanklich so schnell vom Mitgefühl und der Sorge um die Opfer weg war und mir Gedanken um die Diskussionen um den Täter gemacht habe. Weil es eben schnell geht, dass verallgemeinert wird. Dass aus dem Einzelnen, der so eine Tat begeht, schnell eine ganze Gruppe abgestempelt wird.
Als im Osten die AFD bei der Bundestagswahl die meisten Stimmenanteile gewonnen hat, hab ich solche Verallgemeinerungen auch schnell gehört. Wenn vom rechten Osten, oder dem Osten als größter Oppositionspartei gesprochen wird.
Die Wahrheit ist komplexer als wir sie gerne hätten. Einer der sich auch nicht gerne mit einfachen Wahrheiten abgefunden hat, war Jesus von Nazareth. Damals waren die Wahrheiten: Die Zöllner sind Volksverräter, Prostituierte haben sich unentschuldbar vor Gott versündigt, die Samariter beten zu fremden Göttern und müssen gemieden werden. Doch Jesus hat sich nicht mit diesen einfachen Wahrheiten zufriedengegeben. Er hat gefragt: Wer bist du wirklich? Was brauchst du? Er hat hingeschaut, wo andere weggesehen haben. Er hat es gewagt, diese einfachen Wahrheiten nicht sein Handeln bestimmen zu lassen. Dieser Blick für den Menschen, der nicht in einer Wahrheit über die ganze Gruppe untergeht, den wünsche ich mir von uns, Christinnen und Christen – und eigentlich allen Menschen.
Nicht Schlagworte nachsprechen, sondern fragen: Was sind die wirklichen Ursachen, dass Menschen rechte Parteien wählen? Was führt Menschen dazu, dass sie einem Auto in eine Menschenmenge rasen? Und vor allem: Was sind wirklich hilfreiche Maßnahmen, die etwas helfen?
„Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet“, sagt dieser Jesus, der sich nicht mit einfachen Wahrheiten abgeben wollte.[1] Das heißt nicht, dass wir Unrecht gutheißen oder Verharmlosung betreiben. Aber es bedeutet, dass wir differenziert hinschauen. Das ist oft anstrengender und kostet Kraft. Aber es führt eben auch dazu, dass man merkt: Die Welt ist nicht so einfach, wie manche sie uns verkaufen wollen. Vielleicht ist sie gerade deshalb voller Hoffnung.
[1] (Matthäus 7,1).
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