Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Es gibt Sachen, die sind kein Spaß: Auf die eigene Gesundheit achten, das sollte ich schon ernst nehmen. Oder Rücksicht nehmen im Straßenverkehr. Die Sorgen meiner Mitmenschen. Ernst nehmen heißt, sie nicht abzutun, nicht kleinzureden. Wenn ich jemanden ernst nehme, erkenne ich an, dass da etwas dran ist. Dass Sorgen berechtigt sind, dass Probleme existieren. Doch vor Kurzem habe ich eine neue Facette entdeckt: Gott ernst nehmen.
Diese Formulierung ist mir in einer neueren Bibelübersetzung begegnet – und sie hat mich ins Nachdenken gebracht.
Wie nehme ich Gott ernst? Für mich bedeutet das: anzuerkennen, dass Gott so ist, wie er in der Bibel und unserer christlichen Tradition beschrieben wird – voller Liebe, barmherzig, gerecht, größer als alles, was wir uns vorstellen können. Vielleicht noch einfacher: Gott ernst nehmen heißt, anzuerkennen, dass ich nicht Gott bin.
Klingt logisch. Dass ich nicht Gott bin. Aber ist das wirklich so selbstverständlich? Im Alltag vieler Menschen spielt Gott kaum noch „ernsthaft“ eine Rolle. Aber was wird dann aus seinem Platz? Ist es nicht verführerisch, ihn selbst einzunehmen?
Wenn ich nicht Gott bin, dann verstehe ich, dass ich das, was ich bin und habe, nicht nur mir selbst verdanke, sondern empfangen habe. Wenn ich nicht Gott bin, dann weiß ich, dass auch andere recht haben könnten. Dass ich nicht allwissend bin und meine Sichtweise nicht die einzig mögliche ist. Wenn ich nicht Gott bin, dann werde ich vorsichtig, wenn es darum geht, über andere zu urteilen. Gott ernst zu nehmen heißt, mir meiner eigenen Grenzen bewusst zu sein.
Ich meine, das verändert meine Perspektive, gerade, wenn es um ernste Dinge geht wie z. B. meine Gesundheit. Vorsorge muss ich ernst nehmen – kann aber trotzdem nicht gottgleich dafür sorgen, dass ich 100 Jahre alt werde. Wenn es um wichtige Fragen wie den Umweltschutz oder unser Zusammenleben geht, stehe ich zu meiner Meinung. Aber die von anderen muss ich ebenfalls ernst nehmen. Meine Perspektive ist schließlich begrenzt, und ich bin nicht Gott.
Vielleicht bewahrt uns genau das vor Fanatismus und Extremismus. Beides lebt davon, dass Menschen meinen, die eine absolute Wahrheit zu besitzen, die nicht hinterfragt werden darf. Dass sie glauben, genau zu wissen, wie die Welt funktioniert. Gott ernst zu nehmen bedeutet, zu erkennen, dass wir nur einen Bruchteil verstehen. Dass es gut ist, sich für Gerechtigkeit einzusetzen und nach Weisheit zu streben – aber nicht, ohne andere Stimmen zu hören.
Ein Leben jenseits der Extreme. Indem wir Gott ernst nehmen – und unsere eigenen Grenzen.
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