Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Fritz Rosenthal ist Jude und flieht als junger Mann aus Nazideutschland nach Jerusalem. Wenn schon, denn schon, denkt er sich und nimmt einen neuen Namen an: Schalom Ben-Chorin. Schalom, das heißt Friede, Ben-Chorin bedeutet Sohn der Freiheit. Sein Vorname und sein Nachname sind bewusste Zeichen in einer Zeit der Diktaturen und des Kriegs: Zeichen, die er selbst setzt. Dabei braucht auch er selbst immer wieder Zeichen. Er braucht eine Ermutigung von außen, dass es mit dem Frieden und mit der Freiheit gut ausgehen soll. Wenigstens einen klitzekleinen Hinweis wünscht sich Ben-Chorin, dass er mit seinen Wünschen nach Heil für diese Welt nicht auf dem Holzweg ist. Dass nicht alles vergeblich ist. Wenn er dann am Übergang von Winter zum Frühjahr aus dem Fenster sieht, dann sind da Mandelbäume. Und wenn er genau hinschaut, kann er erste Blütenblätter erkennen.
Er ist verzagt und ohne Hoffnung, aber dass vor seiner Haustür, ohne sein Zutun, ganz unabhängig von ihm, etwas neu beginnt, neu aufblüht, das ist, wie er selbst sagt, eine „geflüsterte Botschaft“ für ihn. Ein Zeichen. Und er macht aus dem, was er sieht, ein Gedicht:
Freunde, dass der Mandelzweig
wieder blüht und treibt,
ist das nicht ein Fingerzeig,
dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging,
soviel Blut auch schreit,
achtet dieses nicht gering,
in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg,
eine Welt vergeht.
Doch des Lebens Blütensieg
leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig
sich in Blüten wiegt,
bleibe uns ein Fingerzeig,
wie das Leben siegt.
Wie schön! Das Gedicht des jüdischen Dichters ging um die Welt und wurde später vertont und ins evangelische Gesangbuch aufgenommen. Auch das ist ein Zeichen, ein Hinweis, dass Versöhnung kein leeres Wort ist. Draußen wird es Frühling. Es ist in einer verrückten Welt ein Fingerzeig, mehr nicht. Aber achtet das nicht gering, Freunde.
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