Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Eigentlich will Martin Luther in Ruhe auf der Wartburg weiter die Bibel übersetzen, im Jahr 1522. Aber dann hört er aus Wittenberg, dass dort in der Kirche alles ganz anders werden soll. Nicht freiwillig, sondern mit Gewalt. Den einen geht es nicht schnell genug mit den Veränderungen, die anderen sind zufrieden so, wie es ist. Die Stadt ist gespalten. Und es bleibt nicht friedlich. Gewalt kommt ins Spiel.
Martin Luther sieht seine Verantwortung. Schließlich hat er fünf Jahre vorher den Stein ins Rollen gebracht mit seiner Kritik an der Kirche. Deshalb verlässt er die Wartburg und reist nach Wittenberg. Und dort tut er, was er kann und gelernt hat: Er predigt. Jeden Tag, eine Woche lang. Immer wieder und wieder erklärt er, dass Gewalt keinen Platz hat, wenn es um den Glauben geht – und ich ergänze für heute: Auch sonst hat Gewalt keinen Platz, wenn man unterschiedlicher Meinung ist. Die Menschen sollen frei sein im Vertrauen auf Gott. Luther erklärt, was ihm im Glauben hilft, wie er ihn versteht. Aber ein Gesetz kann man daraus nicht machen.
Und was auch immer jede und jeder für sich glaubt: Die Nächstenliebe gehört dazu. Kein Glaube ohne Liebe. Immer wieder sagt er das. Und starke Bilder verwendet Luther da: „Lasst uns einer dem andern zu Füßen liegen, einander die Hände reichen, einer dem andern helfen.“ Denn „wir sollen nicht allein in den Himmel kommen, sondern unsere Geschwister, die jetzt noch nicht unsere Freunde sind, mitbringen.“
An diesen Worten haben die Wittenberger ganz schön zu knabbern. Es geht nicht mehr darum, welche Reformen nun wie schnell umgesetzt werden müssen und was der richtige oder falsche Weg ist. Es geht darum, wie wir einander begegnen und wie wir miteinander umgehen. Nach einer Woche Predigten haben es die Wittenberger kapiert und können wieder miteinander reden. Jedenfalls für eine Weile. Denn über unseren Umgang miteinander, da kann man gar nicht genug nachdenken.
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