SWR Kultur Wort zum Tag
Unter der Woche beginnt jeder Tag bei mir genau gleich. Ich versuche, den Wecker möglichst lange zu ignorieren: solange mein Trommelfell das gerade noch mitmacht. Dann schlurfe ich mit halbgeschlossenen Augen in die Küche und greife im Dunkeln nach dem Wasserkocher. Das Wasser wird heiß, ab in die Teekanne, drei lange Minuten – und endlich das, worauf ich gewartet habe: der erste Schluck Tee – ahhh, wunderbar. Ich spüre die Hitze und die anregende Bitterkeit im Mund. – Aber mit dem ersten Schluck fließt nicht nur wohlige Wärme in meinen Körper. Es ist, als ob das Leben selbst in mich hineinströmt. Ich öffne die Augen ganz, blinzle ein wenig und sehe das erste Mal mit Zuversicht, was der aufziehende Morgen so bringt. – Der erste Schluck Tee, und es kommt neues Leben ins Leben.
Jetzt, wo der Frühling in Sicht ist, schaffe ich es manchmal, später am Vormittag Sport zu machen. Ich schwitze auf dem Rennrad, ich bin ganz außer Atem, und zurück in der Küche greife ich zuerst zur Wasserflasche. Aber es ist ein ganz anderer Durst, den ich da stille. Ein anderer Durst als der am frühen Morgen. Ich fühle mich schon ganz ausgetrocknet. Die Kehle ist rau, der Körper zittrig. Hastig schütte ich große Schlucke Sprudel in meinen Mund, Hauptsache Flüssigkeit.
Zweimal trinken: einmal aus der Not heraus, schnelles Wasser nach dem Sport. Das andere Mal zur Eröffnung eines neuen Morgens, aus dem Halbschlaf des Alltags heraus.
Neulich habe ich in einem Gottesdienst das Abendmahl ausgeteilt – kleine Brotstücke zuerst, und dann den Traubensaft. Am Schluss habe ich auch selbst beides empfangen. Und während ich den Schluck Traubensaft getrunken habe, habe ich mich gefragt: Woran erinnert mich dieses Trinken mehr? Ähnelt es dem Trinken nach dem Sport? Hauptsache Flüssigkeit, um nicht zu verdursten? Oder ähnelt es dem ersten Schluck Tee am Morgen – mit dem neues Leben ins Leben kommt?
Vielleicht ist es auch beides – weil Jesus beides verspricht. Er hilft mir in äußerer und in innerer Not. Er stärkt mich, wenn meine Kehle ganz trocken ist. Oder meine Seele. Ausgetrocknet nach den Anstrengungen des Lebens. Dann fängt Jesus mich auf und erquickt mich. Und Jesus bringt auch neues Leben in mein Leben. Er lässt mich aufwachen aus dem Halbschlaf des Alltags und ermöglicht mir, groß zu träumen. Er ermöglicht mir auch heute, wach und mit Zuversicht ganz lebendig zu leben.
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