Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Dem Glauben kommen Menschen nicht nur in den Texten der Heiligen Schrift auf die Spur. Oft sind es die Werke begnadeter Künstler, die ihnen das Göttliche in der Welt offenbaren.
Michelangelo war vielleicht der Größte unter ihnen. Heute vor genau 550 Jahren wurde er in der Toskana geboren. Mit seinem David schuf er die Idealgestalt eines Menschen als Gottes Ebenbild. Und in den Fresken der Sixtinischen Kapelle entfaltete er das Drama der Welt – von der Schöpfung bis zum Jüngsten Gericht.
Begonnen aber hatte alles mit der Pietà, einer lebensgroßen Darstellung der Mutter Gottes, die ihren toten Sohn Jesus im Schoß hält. Was Michelangelo hier aus einem Marmorblock herausschlug, war ein Glaubensbekenntnis. Seine Maria ist nicht von Leid und Verzweiflung gezeichnet. Jugendlich wirkt sie, von überirdischer Schönheit. Ihr Gesicht ist entspannt, ja, Maria lächelt sogar. Sie weiß um die Auferstehung, die kommen wird.
Michelangelo war erst Mitte Zwanzig, als er dieses unglaubliche Werk schuf. Ein langes, rastloses und von Selbstzweifeln geplagtes Leben sollte folgen. Die Pietà aber erfüllte ihn zeitlebens mit Stolz. In die Schärpe, die quer über die Brust der Maria verläuft, meißelte er die Worte: „Das hat Michelangelo aus Florenz gemacht.“
Seit einem halben Jahrtausend steht dieses Wunder der Kunst nun im Petersdom. Ungezählte Menschen, gläubige und nichtgläubige, haben es bestaunt. Elke Heidenreich, die bekannte Autorin, sah die Pietà als Sechzehnjährige zum ersten Mal. Erschüttert brach sie in Tränen aus. Für sie blieb dieses Erlebnis prägend für ihr ganzes Leben. Heute, mit 82 Jahren, erkärt sie: „Wie kann einer vor Michelangelos Pietà stehen und nicht bis ins Herz getroffen sein?“
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