SWR1 3vor8

23FEB2025
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Heute wird ein neuer Bundestag gewählt. Was von all den steilen Forderungen aus dem zurückliegenden Wahlkampf am Ende übrig bleibt, das wird sich zeigen. In den letzten Wochen jedenfalls konnte man mitunter meinen, dass es nur noch Schwarz oder Weiß gibt. Dass kaum noch Platz ist für die unendlich vielen Grau- und Zwischentöne, die unsere Gesellschaft ausmachen.

Nun sind steile Forderungen ja keine Spezialität von Wahlkämpfern. Auch das Christentum kennt sie, vor allem, wo es ums Zusammenleben geht. Ein Blick in die sogenannte Feldrede Jesu, die der Evangelist Lukas aufgeschrieben hat, genügt. Ein Ausschnitt daraus ist heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Lk 6,27-38) Da lese ich etwa: Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand das Deine wegnimmt, verlang es nicht zurück! Ich gebe zu: Da bin ich schon raus. Ich gebe nicht jedem was, der mich auf der Straße nach Geld fragt. Und wenn ich bestohlen werde, möchte ich mein Eigentum natürlich zurückhaben. Außerdem sind das nicht die einzigen steilen Forderungen, die Jesus an seine Anhängerinnen und Anhänger richtet: Segnet die, die euch verfluchen; betet für die, die euch beschimpfen, heißt es da noch. Und auch: Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin. Nimmt man Jesus beim Wort, dann verlangt die christliche Botschaft denen, die ihr folgen, also eine ganze Menge ab. Anzunehmen ist aber auch, dass sehr viele Christinnen und Christen diesem hohen Anspruch kaum genügen dürften. Mich selbst eingeschlossen.

Nun wusste Jesus natürlich, dass die Welt nicht nur schwarz-weiß ist. Dass es da endlos viele Schattierungen und Zwischentöne gibt. Seid barmherzig, fordert er deshalb. Vielleicht kommen ja nur Menschen, die die vielen Grautöne wahr- und ernstnehmen, überhaupt auf so ein Wort wie „barmherzig“. Weil kein Mensch auf der Welt perfekt ist. Und weil unser Zusammenleben schnell unerträglich würde, wenn wir bei Fehlern und Schuld, bei Dummheit und Schwäche nicht mehr barmherzig sein könnten. Barmherzig zu anderen und auch zu uns selbst. Das kann natürlich nicht bedeuten, alles einfach gutzuheißen. Wegschauen und Schönreden lösen kein einziges Problem. Doch für die, die sich am Evangelium orientieren wollen, kann es nicht nur Schwarz oder Weiß geben. Und ein Mensch, der als Christ oder Christin barmherzig mit sich selbst sein kann, der wird es auch hinnehmen, wenn er an den hohen Ansprüchen Jesu öfter mal scheitert. Auch, wenn er sich noch so sehr bemüht hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41653
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