SWR1 Begegnungen

23FEB2025
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Christiane Quincke Foto: Evang. Kirche Pforzheim

Christiane Quincke, gebürtige Hamburgerin, leitet den evangelischen Kirchenbezirk Pforzheim. Als spröde Schönheit bezeichnet sie die Stadt, in der sie seit gut zehn Jahren lebt. Heute findet dort wie an jedem 23. Februar ein Gedenktag statt: Vor 80 Jahren wurde die Stadt durch einen britischen Bombenangriff in Trümmer gelegt, ein Drittel der Bevölkerung kam ums Leben, mindestens 17.600 Menschen. 

Für die Bevölkerung war das wie vom Himmel gefallen. Und dieses Gefühl, da ist was vom Himmel gefallen, diese Form der Traumatisierung, die wirkt aus meiner Sicht bis heute nach.

Der Schock von damals sitzt tief bei den Zeitzeugen und er prägt auch das Leben der Nachfahren. Denn Traumata wirken generationsübergreifend fort – das weiß man heute. Neben der Trauer um die Toten und Vermissten möchte Christiane Quincke auch die Jahre vor 1945 in die Gedenkkultur mit einbeziehen. Denn nicht erst die Zerstörung der Stadt, auch die menschenverachtende Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten haben ja dort Biografien geprägt. Christiane Quincke hat es öffentlich ausgesprochen: „Pforzheim war keine unschuldige Stadt“ und hat damit für Aufsehen gesorgt.

Ich habe auch gesagt, das rechtfertigt keine Bombardierung, das ist für mich ganz klar. Aber trotzdem: Dieser Satz, der hat viele hier getroffen, weil sie sich damit selber auf einmal in die schuldige Ecke gedrängt fühlten.

Ob es gelingen kann, der vielen Opfer und der sinnlosen Zerstörung durch diesen Bombenangriff zu gedenken und gleichzeitig die Geschichte einer Stadt zu erzählen, in der Menschen französische Widerstandskämpfer ermordet haben, die jüdische Bevölkerung deportiert und das NS-Regime unterstützt? Christiane Quincke meint: ja.

Wir versuchen seit elf Jahren eigentlich intensiv, diesen 23. Februar zu einem Tag zu machen, wo auch die Menschen mit einbezogen sind, die diesen 23. Februar nicht nur nicht erlebt haben – das hat ja fast niemand mehr, sondern die jetzt auch keinen unmittelbaren Bezug dazu haben, weil sie keine Angehörigen hier haben oder gar nicht von hier kommen.

Und das sind inzwischen viele. In Pforzheim lebt ein überdurchschnittlich großer Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte, Menschen mit ähnlichen Verlustgeschichten und brutalen Abbruchserfahrungen. Eine Chance, meint Christiane Quincke:

Ich habe mal mit einem gesprochen, der sagt auch, ja, mich haben die Bilder, als ich die gesehen habe, total an Aleppo erinnert und dann hat er gesagt, Mensch, wenn ihr das geschafft habt, dann schaffen wir das auch irgendwann.

Wenn man das aus meiner Sicht positiv würdigen würde, im Sinne von wir tragen hier solche Geschichten mit uns, wir teilen sie miteinander, und wir sorgen gemeinsam dafür, dass so etwas nicht wieder passiert. Das ist eine Botschaft, die von uns aus Pforzheim ausgeht, nun quasi Friedensstadt vielleicht.

Heute vor 80 Jahren ist die Stadt Pforzheim durch einen britischen Bombenangriff komplett zerstört worden. Den jährlichen Gedenktag gestalten auch die Kirchen mit. Die evangelische Dekanin Christiane Quincke erinnert sich an die ersten gemeinsamen Überlegungen:

Dann habe ich eingebracht, ich glaube, es wäre gut, wenn wir an diesem Abend einen interreligiösen Segen machen würden für die Stadt. Wir haben eine Botschaft und wir wollen diese Stadt auch segnen, und das tun wir mit den vielen Religionen, die wir hier haben.

Stehen und schweigen, die Glocken der Stadt hören, die genau so lange läuten, wie der Angriff am 23. Februar 1945 gedauert hat. 20 Minuten: Gerade mal so lange wie der Bus durch Pforzheim von der Hochschule zum Hauptbahnhof fährt. Und doch Zeit genug, um das Leben von Zigtausend Menschen auszulöschen und ihre Stadt gleich mit.

Dann war die Idee, da ein Lichtermeer entstehen zu lassen, also Kerzen zu verteilen und auch hier so eine Art Friedenswege zum Zentrum zu führen, damit die Menschen auch dahin kommen. Es ist gut, den Menschen zu sagen: Wir wissen, 20 Minuten nachher, das ist lang, aber schaut auf die Kerze, denkt an eure Lieben, und dann wird das, und einfach die Menschen da mithineinzunehmen.

Weil der Gedenktag in diesem Jahr auf einen Sonntag fällt, findet am Vormittag auch ein ökumenischer Gottesdienst statt. „Das Herz lösen“ heißt sein Programm in Anlehnung an einen Choralvers von Paul Gerhardt. Denn es geht auch ums Loslassen. Den Schmerz ziehen lassen, damit Hoffnung und Zuversicht wieder einen Platz im Herzen finden. Und in der Stadtgesellschaft.

Für Pforzheim geht es schon auch immer nicht nur um die Vergangenheit, sondern um die Zukunft. Und darum, wie wir unser Zusammenleben gestalten. Also wie gestalten wir hier unsere Zukunft? Wie gestalten wir die Gegenwart? Wie leben wir zusammen? Und was bedeutet auch Demokratie in diesem Fall? Und was ist das, was wir ja dann vielleicht auch bewahren und schützen müssen?

Denn es gibt es auch andere Kräfte, die das Gedenken an den 23. Februar ausschlachten zur Verfolgung nicht demokratischer Ziele. Zum Beispiel der Aufmarsch rechtsextremer Gruppen auf dem Wartberg:

Da treffen sich Menschen, die wollen eine andere Gesellschaft. Die wollen nicht, dass wir hier sind. Die wollen unser Zusammenleben kaputtmachen. Und dass wir sagen: nein, und wir gestalten unser Zusammenleben und wir sind stolz darauf, dass wir das können und dass wir es tun. Und wir haben hier auch die Verantwortung, was dafür zu tun. Und dafür bitten wir dann Gott um seinen Segen.     

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41615
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