SWR1 Begegnungen

16FEB2025
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Wilhelm Schmid copyright: Manuela Pfann

Mit Manuela Pfann und mit dem Philosophen Wilhelm Schmid. Ich möchte mit ihm über die Liebe sprechen. Weil er darüber ein ganz besonderes Buch geschrieben hat. Wir treffen uns nach einer Lesung; und er erzählt mir vom Tod seiner Frau – und: Wie die tiefe Liebe der beiden bis heute besteht.

Ich habe keine Trauer erlebt, sondern ein Traurigsein. Daran liegt mir sehr. Und ich bin schon immer als Philosoph der Meinung gewesen, dass Traurigsein ein Teil des Menschseins ist. Bei der Trauer habe ich bei Vielen den Eindruck, das fällt aus dem Menschsein raus. Also das muss man so schnell wie möglich dann hinter sich lassen. Ich will das Traurigsein nicht hinter mir lassen. Ich bin froh, wenn es nicht ständig da ist. Und das ist auch so.

Seine Frau hatte sich von Wilhelm Schmid gewünscht, er soll nicht ewig grübeln oder Trübsal blasen.

Tue ich auch nicht, weil dazu bin ich zu erfüllt von ihr und weil ich erfüllt sein darf von ihr, gibt es keinen Grund für Trauer. Nur immer mal wieder traurig sein, dass sie leiblich nicht da ist. Aber wir sind zusammen in anderer Aggregatform und das spüre ich auch und das tröstet mich komplett.

Mich erinnert das an den schönen Satz des Apostels Paulus: „Die Liebe hört niemals auf“. Gilt der also tatsächlich für Wilhelm Schmid und seine verstorbene Frau? 

Die Liebe ist voll und ganz geblieben! Ich habe 100, 200 Bilder von ihr auf meinem Handy und immer passend zum Tag suche ich eins aus, damit sie auch wenigstens im Bild mich anschaut. Und momentan ist mir danach, Bilder von ganz vom Anfang rauszusuchen. Was war das für eine blühende, schöne junge Frau!

Wilhelm Schmid strahlt, wenn er von seiner Frau spricht. Und ich frage ihn: Tut das nicht immer wieder aufs Neue weh, den geliebten Menschen jeden Tag nur als Foto zu sehen?

Nein, das tut mir nicht im Geringsten weh. Ganz im Gegenteil, das bestärkt mich, das beglückt mich. Was? Ich durfte diese wunderschöne Frau meine Frau nennen? Wechselseitig, sie sagte mir auch, wirklich sehr stolz, „Mein Mann“. Nein, „mein geliebter Mann“, sagte sie, das ist ein Unterschied.

Deshalb ist er auch sicher: Sie ist einverstanden damit, dass er ein Buch über sie, über ihr Sterben und ihren Tod geschrieben hat; und dass er sie so zu jeder Lesung mitnimmt.

Sie wollte nicht losgelassen werden. Sie wollte zusammenbleiben. Deswegen möchte ich Menschen auch sagen: Loslassen kann am Platz sein, ja, aber nicht in jedem Fall. Nehmt euch die Freiheit, das selbst zu entscheiden. Ihr müsst da keiner Norm folgen, die heute aufgestellt worden ist, „man muss loslassen“. Ich lasse meine Frau nicht los.

Für Wilhelm Schmid war der Tod seiner Frau nicht das Ende ihre Liebe. Nur der „Aggregatzustand“ hat sich verändert, wie er es formuliert. Aber die Energie seiner Frau, die ist geblieben.

Energie kann endlos umgewandelt werden in andere Energieformen, aber sie kann niemals vernichtet werden. Sie war immer da und wird immer da sein. Deswegen vermute ich eben, Religion könnte etwas mit dem Bewusstsein von dieser Energie zu tun haben. Und, das ist etwas, was dann heißen würde: Nach dem Tod ist der ganze Mensch weiterhin da, aber nicht mehr in körperlicher Form, sondern in energetischer.

Der Moment, wenn ein Mensch stirbt, der ist tief traurig und schrecklich. Und Wilhelm Schmid sagt:  Dieser Moment, in dem seine Frau gestorben ist, der war magisch. Das würde ich gerne besser verstehen.

Ja, da bin ich selber in Verlegenheit, das in Worte zu fassen. Es ist ein ungeheuer intensiver Moment. Einerseits der tiefste Abgrund, weil die Welt jetzt so furchtbar leer erscheint ohne diesen Menschen. Das Bewusstsein, es ist absolut endgültig. Aber zugleich eine so große Intimität mit diesem Menschen wie nie, nie zuvor. Nur energetisch erklärbar, weil es ist ja jetzt keine körperliche Intimität.

Wilhelm Schmid hält nochmals inne, um mir zu signalisieren: Wir wissen nicht wirklich, was das für Energien sind. Weil wir so Vieles überhaupt noch nicht wissen.

Aber die Welt ist ungeheuer reich, reicher, als wir Menschen jemals erfassen können. Alles das kommt in diesen Moment rein. Deswegen ist er so magisch. In dieser ungeheuren Spannweite schwebt dieser Moment des Todes; abgrundtief schlimm und absolut reich.

Während unseres ganzen Gesprächs geht mir ein Gedanke durch den Kopf, eine Frage. Ich denke an den Tod Jesu und die Geschichte seiner Auferstehung. Ist das vielleicht auch eine Geschichte von Energie und von verwandelter Liebe? Was sagt ein Philosoph dazu?

Auferstehung verstehe ich so, dass diese Energie, die von einem Menschen bleibt, dann, in welcher Art auch immer, ins Bewusstsein von Menschen treten kann. Das kann in Bildern geschehen, die wir vor uns sehen. Ich hatte nächtelange Träume von meiner Frau, in der sie vollständig real bei mir war. So real, dass ich es nicht glauben konnte nach dem Aufwachen, dass das jetzt nur ein Traum gewesen sein soll. Und ich vermute, dass so was zum Beispiel auch bei der Auferstehungsgeschichte geschehen ist, dass diejenigen, die Jesus geliebt haben, ihm nahe waren, ihn buchstäblich wieder vor Augen hatten. Und ich wäre der Letzte, der sagen würde: Das ist reine Einbildung.

 

Wilhelm Schmid, „Den Tod überleben. Vom Umgang mit dem Unfassbaren“, Insel Verlag

https://www.suhrkamp.de/buch/wilhelm-schmid-den-tod-ueberleben-t-9783458644231

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41588
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