SWR Kultur Wort zum Tag

08FEB2025
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Eine Ausstellung über Bücher, die nie erschienen sind? Die gibt es zurzeit in New York. Im traditionsreichen Grolier Club.  Ein Buch von Hemingway ist da zusehen, dessen Manuskript ihm gestohlen wurde. Die Liebesgedichte des großen Theologen Abelaerd an Heloise aus dem Mittelalter, die man damals hat verschwinden lassen. Vermutlich aus Anstandsgründen. . Oder es sind Bücher, die in einem anderen Buch genannt werden, die es aber gar nicht gibt.

Der Initiator der umfangreichen Ausstellung hat nun versucht, diese Bücher im Stile ihrer Zeit liebevoll herzustellen und ihnen auch einen Titel zu geben. Dabei sind wunderschöne Exponate herausgekommen. Man möchte sie am liebsten sofort in die Hand nehmen und darin blättern. Aber die Seiten der Bücher sind leer. Es sind gewissermaßen potemkinsche Bücher. Schöne Außenansichten. Überwiegend leere Hüllen.

Und mit uns Menschen ist es ja ganz ähnlich wie mit den Büchern. Das eine ist der Umschlag, das Cover, die Hülle. Das andere ist der Inhalt. Beide müssen am Ende bestenfalls zusammenkommen. Das Äußere ist das, was andere Menschen als Erstes wahrnehmen. Meine Außenansicht. Es lohnt sich, ihrer Aufmachung die notwendige Aufmerksamkeit zu schenken. An ihr zu arbeiten. Das andere ist der Text in meinem Lebensbuch. Was steht drin? Jeder Mensch fängt ab dem ersten Tag damit an, das Buch seines Lebens mit Inhalt zu füllen. Das Buch wird nie fertig. Jeden Tag kommen neue Seiten dazu. Manche bleiben erst einmal nur Skizzen. Andere arbeite ich ganz genau aus. Ich weiß nicht, wie mein fertiges Lebensbuch einmal aussehen wird. In einem kleinen Brief der Bibel heißt es: „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden!“ (1. Johannes 3,2) Ganz fertig werde ich in diesem Leben nie. Mein Buch bleibt Fragment. Mit Lücken und leeren Seiten. Fortsetzung folgt. Aber auch mit wunderbaren Geschichten und farbigen Bildern.

Die ungeschriebenen Kapitel, die lassen sich immer noch anfangen. Und die Seiten, die leer geblieben sind, füllen sich vielleicht dann noch, wenn mein Lebensbuch seinen endgültigen Ort findet. Nicht in New York. Sondern da, wo mein Leben aufgehoben bleibt. Und das Buch meines Lebens gewürdigt und als schön befunden wird. Von Gott. Bei dem mein Lebensweg ans Ziel kommt. Und dem, und davon bin ich fest überzeugt, jedes Lebensbuch kostbar ist.

Imaginary Books: Lost, Unfinished, and Fictive Works (https://grolierclub.omeka.net/exhibits/show/imaginary-books)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41576
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