SWR4 Abendgedanken
Ich liebe den Moment, wenn es beginnt zu schneien. In sanften Flocken fällt der Schnee vom Himmel. Schon eine halbe Stunde später starre ich auf die schneebedeckte, weiße Landschaft vor mir. Was war da drunter? Eine grüne Wiese? Ach ne, die Baugrube mit dem Hundehaufen am Rand.
Ist im Prinzip völlig egal, denn der Schnee verdeckt alles, egal wie hässlich.
Ich habe mir im Verlauf meines Lebens ein Beispiel am Schnee genommen. Ich habe gelernt, wie ich mein Herz kalt machen kann. So kalt, bis es in mir schneit und all die hässlichen Dinge mit friedlichem Weiß überzogen werden.
Schlechte Erfahrungen – Schnee drüber.
Stress und Streit– Schnee drüber.
Wut und Trauer – Schnee drüber.
Leider ist die Schneedecke auf meinem Herzen nicht weiß. Sie ist grau, wie der schmutzige, abgasgetränkte Schnee am Straßenrand. Das liegt daran, dass unter dieser Schicht all das Unangenehme und Schmerzhafte liegt: Da liegt zum Beispiel schon ewig eine schlechte Erfahrung aus meiner Schulzeit. Gleich daneben vergammelt ein Haufen Ungesagtes. Dinge, die ich gerne ausgesprochen hätte, mich aber im passenden Moment nicht getraut habe. Darunter ruht dunkelgrau, fast schwarz meine Trauer über den Tod all derer, die ich verloren habe.
Ich will all diese Dinge nicht, diese grau verklumpten, hässlichen Gefühle. Will sie weder sehen noch spüren. Sie sollen für immer verdeckt bleiben.
Genau das tun sie nicht. Grau drücken sie sich durch meinen Herzensschnee und treten immer wieder hervor.
Und dann passiert, womit ich nicht gerechnet habe: Es kommt jemand, der die graue Schutzschicht zum Schmelzen bringt.
Eine Umarmung – zack, die erste Schicht schmilzt.
Ein liebes Wort – zack, die zweite Schicht schmilzt.
Langsam bekomme ich Angst, denn wenn meine Schutzschicht weiter schwindet, wird mein Herz gleich offen daliegen.
Ein liebevoller Blick – zack die nächste Schicht schmilzt. Und ein paar von den hässlichen Gefühlen gleich mit.
Auf einmal wird mein Herz so warm, dass alles Schlechte zu schmelzen beginnt. Es tut ein bisschen weh, aber weniger, als der ständige Kampf, alles zu verbergen. Und danach fühle ich mich besser.
Wie ist das nur möglich, dass ein anderer Mensch eine Schneeschmelze in meinem Herzen verursachen kann? Dass er es schafft, so viel Schlimmes und Unangenehmes wegzutauen. Allein durch Liebe. Ich frage mich, ob ich das auch kann. Ob das jeder Mensch kann?
Vielleicht ist der heutige Valentinstag ein schöner Anlass, um genau das auszuprobieren. Uns gegenseitig eine Umarmung, ein liebes Wort oder einen liebevollen Blick zu schenken – und so Herzen zum Schmelzen zu bringen.
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