SWR4 Abendgedanken

13FEB2025
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Jérôme. Der Name hat sich tief in mein Herz eingeprägt. Dabei bin ich ihm nie persönlich begegnet. Ich habe keine Ahnung, wer er war, kenne weder sein Gesicht noch seinen Nachnamen. Trotzdem denke ich oft an ihn. Immer dann, wenn ich an dem kleinen Holzkreuz am Straßenrand vorbeifahre. Es ist blau und auf dem Querbalken steht in schwarzen Buchstaben sein Name: Jérôme.

Das Kreuz steht an der Stelle, an der er vermutlich gestorben ist. Auf der Straße, die ich fast täglich zur Arbeit entlangfahre. Wenn ich das Kreuz sehe, bin ich mit meinen Gedanken sofort bei ihm: Wer bist du gewesen, Jérôme? Was ist mit dir passiert? Wie hast du gelebt? Wen musstest du zurücklassen? Es muss Menschen geben, die ihn sehr vermissen, denn es stehen immer frische Blumen vor dem Holzkreuz. Seit Jahren schon.

Jérômes Kreuz macht mich traurig. Es ist eines von vielen an deutschen Straßenrändern. Allein 2024 sind fast 3000 Menschen im Straßenverkehr verunglückt. Das sind viele Kreuze. Das sind viele traurige Menschen. Viele Erinnerungen.

Ich finde diese Tradition gut und wichtig, Kreuze am Straßenrand aufzustellen. Sie erinnern nicht nur daran, dass hier ein Mensch sein Leben verloren hat, sondern sind auch eine optische Mahnung an alle, die daran vorbeifahren: Fahrt vorsichtig. Das Leben kann schnell vorbei sein. Runter vom Gas.

Auf mich wirkt so ein Holzkreuz viel eindringlicher als jedes Warnbanner. Auch mein Leben ist endlich. Und dann?

Ich hoffe, dass ich eines Tages alle wiedersehen werde, die mir auf dieser Welt so wichtig geworden sind. Dass wir uns alle wieder in den Armen liegen und glücklich sein dürfen. Gemeinsam bei Gott. Bis dahin wird mein Name auf der Erde zurückbleiben und an mich erinnern. Auf einem Holzkreuz oder auf einem Grabstein.

Bei dem Kreuz von Jérôme muss ich auch an all die Menschen denken, die ich verloren habe. Ich stelle nicht immer frische Blumen an ihr Grab, aber ich vermisse sie. Jeden Tag. Es tut weh, wenn ein Mensch geht und der Schmerz bleibt.

Ich hoffe, es stimmt, was man sagt, dass Liebe alle Grenzen überwindet. Auch die des Todes. Mein christlicher Glaube lässt mich darauf vertrauen, dass auch meine Seele den irdischen Tod überdauert, genauso, wie die Liebe. Auch daran erinnert mich das Kreuz am Straßenrand.

Es verspricht mir, dass geliebte Menschen nicht „einfach so“ aus dem Leben verschwinden. Solange ein Name auf einem Kreuz, einem Grabstein oder auch nur im Herzen eines Menschen geschrieben steht, bleibt er in Erinnerung. Das finde ich tröstlich und schön.

Jérôme, wer auch immer du warst, du stehst in meinem Herzen.

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