Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11FEB2025
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Der Tag beginnt gewöhnlich. Ich wecke unseren 6-jährigen Sohn. Anziehen. Rucksack auf und los geht's zur Schule. Ein alltäglicher Weg – und doch ist heute alles anders. Schon von der Haustür aus sehen wir Krankenwagen und Polizei. Was ist da los in meiner Straße? Besorgt gehen wir unseren Weg.

Meine Gedanken kommen nicht zur Ruhe. Ich kenne die Familie vom Sehen. Man begegnet und grüßt sich. Mehr weiß ich nicht. Es ist wie bei den meisten Nachbarn. Wir haben oberflächlichen Kontakt. Ein freundlicher Gruß. Das war's. Was hinter den Haustüren geschieht? Keine Ahnung. Das geht mich auch nicht alles etwas an. Trotzdem ist es etwas ernüchternd, wie wenig ich über die Menschen in meiner Straße weiß.

Meine Gedanken wandern weiter zu anderen Menschen in meinem Umfeld:
In meiner eigenen Familie bekomme ich natürlich eine Menge mit. Aber weiß ich wirklich, wie es meiner Frau und meinen Kindern geht? Interessiert mich das überhaupt? Oder bin ich zu beschäftigt?

Wie sieht es bei meinen Freunden, Verwandten, Laufpartnerinnen und -partnern aus? Ich muss nicht von allen alles wissen. Dennoch bewegt mich die Frage: Hat mein Gegenüber jemanden zum Reden?

In der Bibel schreibt der Apostel Paulus: „Helft einander eure Lasten zu tragen.“

Das heißt im Umkehrschluss für mich: Alleine ist das Leben zu schwer. Wir sind nicht als Einzelkämpfer gemacht. Sondern für eine Gemeinschaft, die füreinander da ist. Besonders dann, wenn die Last zu schwer wird. Ich kenne das selber gut. Leider neige ich dazu, die Dinge dann doch mit mir selbst ausmachen zu wollen.

Am Nachmittag gehe ich den gleichen Weg wie am Morgen. Unmittelbar vor mir kommt eine Frau aus einer Seitenstraße. Eine Nachbarin. Ich kenne sie - wie sollte es anders sein - vom Sehen. Wir haben noch nie ein Wort gewechselt. Irgendwie spüre ich aber, dass sie reden will. Also wage ich mich: „Hallo, ich bin Manuel.“ „Hallo, ich bin Christiane.“ „Wie geht's Dir heute?“ Und schon reden wir. Über das, was heute in der Straße passiert ist. Ein bisschen zusammen Lasten tragen.

Später stehe ich sehr nervös und unsicher vor der Haustür des betroffenen Haushalts. Ich nehme allen Mut zusammen und drücke auf die Klingel. Der Vater öffnet die Tür. Zuerst schaut er mich etwas verwundert an. „Hallo, ich bin Manuel. Ich wohne ein paar Häuser weiter. Wie geht es Euch?“ In seine Verwunderung mischt sich Erleichterung.

Seitdem sprechen wir immer mal wieder miteinander. Und die Straße, in der ich wohne, fühlt sich schon etwas mehr nach „unserer Straße“ an. Weil wir nun etwas mehr miteinander teilen als den gleichen Straßennamen in der Anschrift.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41552
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