SWR4 Abendgedanken
Als Pfarrerin begleite ich oft Personen, die um einen geliebten Menschen trauern. Wenn wir die Beerdigung miteinander vorbereiten, nehme ich mir mit den Angehörigen Zeit, über den Verstorbenen zu sprechen. Dabei ist mir oft aufgefallen, dass manche Trauernden nicht nur über den Menschen reden, der jetzt gestorben ist. Oft kommen im Gespräch andere in den Blick: „Damals, als meine Oma gestorben ist…“, heißt es dann. Oder: „Ich erinnere mich, als wir meinen Onkel zu beerdigen hatten.“ Die Erinnerung an bereits erlebte Trauer kann helfen, mit der jüngsten Trauer zurechtzukommen. Weil die Menschen wissen: „Ich bin früher schon einmal mit dem Thema in Berührung gekommen. Ich weiß, wie es sich anfühlt.“
Als Seelsorgerin habe ich das für mich auf die Formel gebracht: Am Grab eines Menschen stehen wir nicht nur am Grab eines Menschen.
Einmal hat ein junger Mann sogar zu mir gesagt: „Ich habe schon oft um einen Menschen trauern müssen. Ich habe Übung darin.“ Das hat für mich gar nicht bitter geklungen oder verzweifelt sondern fast ein wenig hoffnungsvoll.
Gleichzeitig war es dem jungen Mann ernst. Denn auch wenn jeder Abschied anders ist, bin ich davon überzeugt: Alte Trauer, der Abschied von anderen, Vorerfahrung mit Trauer und Verlust und vieles andere mehr schwingt immer mit, wenn man sich von diesem einen Menschen hier und jetzt verabschiedet.
„Ich habe Übung darin.“ Hat der junge Mann gesagt und hat gemeint: Alte Gefühle klingen mit. Vielleicht auch Unerledigtes. Empfindungen, die früher schon da waren und die er vielleicht jetzt aussprechen kann. Aber auch das, was tröstet und Mut macht. Für den jungen Mann war das so als ob seine verstorbene Oma ihm jetzt über die Schulter schauen und ihn trösten würde. Als würde sie sagen: „Schau, den Abschied von mir, so traurig dich das auch gemacht hat, den hast du mit der Zeit ganz gut hinbekommen. In Gedanken bin ich an deiner Seite.“
Auch wenn jede Trauererfahrung anders ist: Wir stehen nie nur am Grab EINES Menschen; und von jedem Grab nehmen wir etwas mit, was die Seele darin übt, mit dem Verlust umzugehen. Und das kann helfen.
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