SWR1 Begegnungen

Caroline Haro-Gnändinger trifft: Sarah Tischer.
Sie lebt in Freudenstadt-Igelsberg im Schwarzwald und dafür hat sie sich ganz bewusst entschieden. Davor hat sie lange in Großstädten gelebt, zuletzt in der Schweiz in Zürich. Und sie hat als Wirtschaftswissenschaftlerin im Bereich Versicherungen gearbeitet.
Ich wollte immer Karriere machen als Frau, auch in der Wirtschaftswelt und so nach dem Motto: Ich kann das auch und das war mein Treiber. Also es war auch nicht Geld oder Lebensstil oder so oder auch nicht Sicherheit, sondern wirklich dieses: Ich wollte vorankommen, das war mein Ziel.
Vorangekommen, das ist sie auch. Aber nach ein paar Jahren hat sie gemerkt, dass der Rahmen an sich für sie nicht passt. Mit Mitte 20 kündigt sie damals – und zwar ohne einen genauen Plan für danach zu haben.
Es war wirklich nur diese Sinnkrise, aber die war letztendlich einfach so groß, wo ich dann gemerkt habe, es macht keinen Sinn. Ich will nicht Geld hin und her schieben und nichts Sinnvolles machen und mich daran selbst bereichern, dass ich irgendwie da so ein bisschen mitwurschtle.
Wo bin ich am richtigen Platz? – diese Frage kenne ich auch. Wo kann ich dahinterstehen? Klar, nicht immer haben wir die Wahl, manchmal zählt auch einfach, Geld verdienen zu können. Sarah Tischer hat damals jedenfalls keinen Partner oder Kinder und sie hat ein kleines finanzielles Polster. Das hat es ihr leichter gemacht. Außerdem fängt sie gerne etwas Neues an:
Ich interessiere mich für wahnsinnig viele Dinge und bin auch sehr begeisterungsfähig und habe auch schon immer gern Neues angefangen und mich da so komplett reingestürzt.
Aber ihr fällt damals das Entscheiden schwer. Sie überlegt, Yogalehrerin zu werden, ein Restaurant zu eröffnen oder vielleicht doch ein Haus mit Gästezimmern zu kaufen.
Dann kamen aber schon wieder von allen Seiten ganz viele Vorschläge für mich und ich hatte wieder dieses Gefühl wie nach dem Abi, wo auch alle gesagt haben, du hast alle Möglichkeiten, dann dachte ich: Jetzt bin ich mit Mitte 20 schon wieder da und alle sagen: Ja, du hast alle Möglichkeiten. Und die bringen dir doch gar nichts, weil ich mich für eine Sache entscheiden muss.
Und beim Entscheiden hilft ihr unter anderem, pilgern zu gehen – sie läuft los, zwei Monate auf dem Jakobsweg. Von Frankreich nach Spanien, nach Santiago de Compostela. Es ist ein Weg, den Christen schon vor Jahrhunderten gelaufen sind. Eigentlich hat Sarah Tischer mit Glauben nicht viel zu tun, sie zweifelt. Aber sie hat sich in den Pilgerrucksack eine kleine Bibel gelegt.
Ich habe mich da sehr drauf eingelassen. Als ich auf den Weg bin, in so einer Sinnkrise will ich mich auch mit Religion beschäftigen und mit größeren Themen, weil im Alltag hat man einfach immer so viele Sachen um die Ohren. Und auf dem Weg ist man auf dem Weg und hat banale Sorgen mit: Wo esse ich? Wo schlafe ich? Und viel mehr ist da nicht.
Verstehe ich gut, auch mir tun ein paar Tage ganz woanders nur für Fragen rund um meinen Glauben sehr gut. Übrigens ist sie im Winter gestartet! Im Februar.
Ich habe das auch irgendwie gesucht, das Abenteuer und bin dann auch wirklich losgelaufen, obwohl gesagt wurde, da liegt dann schon zum Teil irgendwie kniehoch Schnee und so und dann war ich da war mir da irgendwann auch nicht mehr sicher, ob ich auf dem richtigen Weg bin. Ja, also so ein bisschen Abenteuer gehört dann auch dazu.
Unterwegs trifft sie andere Pilger und Herbergsbesitzerinnen und die inspirieren sie. Was den Beruf angeht, und auch den Glauben an Gott.
Ich spreche mit Sarah Tischer – sie ist aus Überlingen am Bodensee und lebt heute mit Mann und Kind in Freudenstadt-Igelsberg. Nach dem Studium hatte sie Daten von Versicherungsunternehmen ausgewertet. Heute führt sie ihr eigenes Gästehaus im Schwarzwald – sie organisiert alles von den Finanzen, bis zu Frühstück und Renovierungen:
Was ich jetzt auch merke: Immer, wenn man was wirklich mit Leidenschaft macht und auch sein Eigenes macht, das merken die Leute.
Was hat ihr dabei geholfen sich für diesen Beruf zu entscheiden?
Sie erzählt mir, dass sie auf ihr Inneres gehört hat. Und dabei haben ihr auch gute Freunde geholfen. Auf dem Jakobs-Pilgerweg hat sie sich außerdem mit Herbergsbesitzerinnen darüber ausgetauscht, wie das so ist, eine Herberge zu betreiben. Sarah Tischers Alltag ist heute deutlich anders als damals im Versicherungsunternehmen:
Die Gastronomiebranche, wo ich jetzt arbeite, ist natürlich auch ein hartes Pflaster. Also man verdient da nicht so viel Geld. Das habe ich davor um Welten einfacher verdient. Das ist viel anstrengender, aber nichtsdestotrotz sehr viel sinnerfüllter, mein ganzes Leben.
Es kann sicherlich nicht jeder so plötzlich etwas ganz Neues anfangen. Aber etwas finden, wo ich im Alltag mit dem ganzen Herz dahinterstehen kann, finde auch ich sehr wichtig. In Igelsberg mag Sarah Tischer übrigens auch die Gemeinschaft. Und sie hat eine evangelische Kirchengemeinde gefunden, in der sie sich wohl fühlt. Ein monatliches Treffen von Frauen mag sie besonders, sie schauen sich biblische Texte genauer an, singen und sitzen zusammen:
Die beiden lieben Frauen, die das organisieren, die bereiten auch immer Programm vor. Und die machen das alles so liebevoll. Und dann durchaus auch noch den Austausch über Glaubensthemen. Und dann ist da noch so viel schöne Gemeinschaft und dann geht man immer relativ beglückt wieder. Deswegen geh ich da gerne hin.
Für sie etwas Neues. Sie ist nach dem Schulabschluss aus der katholischen Kirche ausgetreten. Die Predigten haben sie oft nicht angesprochen und sie stört zum Beispiel, dass Frauen da keine Priesterinnen werden können. Inzwischen ist sie in der evangelischen Kirche, aber der Institution Kirche steht sie schon auch noch kritisch gegenüber. Was sie überraschend gut fand: Beim Pilgern auf dem Jakobsweg ist sie einem katholischen Pfarrer begegnet:
Ich fand es einfach der Wahnsinn, dass ich dem begegnet bin. So diese Fragen, die mir so ewig schon auf der Seele gebrannt sind, konnte ich einfach da alles fragen. Also sehr zugänglich. Wir saßen auch einmal in der Bar und er hat ein Fußballspiel angeschaut und ich habe ihn während dessen Sachen gefragt. Also das war für mich eine sehr prägende Erfahrung.
Sie hat mit ihm diskutiert und ein paar Antworten für sich gefunden. Aber es bleiben auch Zweifel:
Gerade in Bezug auf Krankheiten so: Warum trifft es die einen, dass sie so schwer krank werden oder so früh sterben und die anderen nicht?
Diese Fragen lassen sie nicht los. Trotzdem ist ihr der Glaube wichtig und sie fühlt sich im Alltag verbunden mit Gott:
Ich merke schon, dass ich oft anfange zu beten, wenn ich wirklich ein Problem habe oder in einer blöden Situation bin. Und sonst würde ich sagen, dass ich nicht ganz regelmäßig bete, aber schon oft morgens oder abends so auch gerne Sachen aufzähle, für die ich dankbar bin.
Und da gibt es so vieles. In solchen Momenten erlebt sie Gott:
Wenn man so ganz viel Schönheit erlebt, man hat mal Vogelgezwitscher und der Sonnenaufgang und der Himmel wird so rot und so, also es sind für mich oft diese Momente, auch an der Natur, wo das so sehr präsent wird.
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