SWR3 Gedanken

08FEB2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Die Straßenbahnen streiken. Ich frage die Gäste bei uns in der Kirche, wer denn trotzdem kommen kann. Eine Frau strahlt über das ganze Gesicht: „Ich komme mit dem Zug; die Deutsche Bahn streikt zum Glück nicht. Vom Bahnhof kann ich herlaufen.“ Ich frage, wo sie herkommt. „Aus Frankfurt“, sagt sie lapidar. Ich wundere mich. Die Frau ist ausgesprochen gepflegt. Als es etwas ruhiger wird in der Kirche, setze ich mich zu ihr. Sie erzählt: „Ich habe früher in Mannheim gewohnt, aber ich habe die Wohnung verloren. Ich bekomme Rente und habe ein Deutschlandticket. Da setze ich mich in die Bahnen und fahre immer hin und her. Da bin ich schon warm.“

Wie das geht mit Hygiene und Körperpflege, will ich wissen. „Behindertentoilette im Bahnhof“, sagt sie, „da kenne ich eine Frau, die lässt mich da in Ruhe drin sein.“ Und wie macht sie es mit den Nächten? Die Züge fahren ja nicht durch. Das kann sie mir nicht verraten, aber meint, es geht gut, meistens. Ich staune noch immer; weniger darüber, wie sie es schafft, so gepflegt zu wirken, so ausgeschlafen, obwohl sie tatsächlich obdachlos ist, sondern über das Leuchten in ihrem Gesicht. Kein Zorn, keine Furcht aufgrund des ungeborgenen Lebens, weder Enttäuschung noch Verletztheit. Sie ist voll Vertrauen und Zuversicht. „Ich werde schon wieder etwas finden.“ Mehr als alles andere strahlt sie Dankbarkeit aus. Und sagt: „Wissen sie, es gibt so viele, die mir helfen. Gott hilft mir immer.“

Und ich bin froh, dass morgen nicht auch die Deutsche Bahn streikt, und sie wieder kommen kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41509
weiterlesen...