SWR Kultur Wort zum Tag
Oswiecim, eine sympathisch wirkende polnische Kleinstadt unweit des märchenhaft schönen Krakau. Ganz normales Leben findet hier statt und doch steht in Oswiecim eine Gedenkstätte, deren Namen sich als Synonym für den Holocaust und Inbegriff des Bösen weltweit ins Bewusstsein eingebrannt hat. Oswiecim heißt auf Deutsch: Auschwitz. Diese Woche begingen wir am Holocaustgedenktag den 80. Jahrestag der Befreiung des früheren deutschen Konzentrationslagers.
Neben der Gedenkstätte und dem Museum gehört das "Zentrum für Dialog und Gebet" sicher zu den bemerkenswertesten Einrichtungen vor Ort. Gegründet wurde es 1992 von der katholischen Kirche in enger Absprache mit Vertretern jüdischer Organisationen. Hier, in fußläufiger Nähe des Stammlagers Auschwitz, sollte ein Ort geschaffen werden, der einlädt sich zu besinnen, zu begegnen, zu lernen und zu beten – und zwar für alle Menschen, die erschüttert sind von dem, was dort geschehen ist, unabhängig von ihrer religiösen Orientierung.
Ideengeber für das Zentrum war vor allem Manfred Deselaers, Priester des Bistums Aachen, der seit über 30 Jahren dort lebt. Inzwischen fast 70-jährig begleitet er bis heute Gruppen beim Besuch der Gedenkstätte. Deselaers bietet sich selbst an, um mit den Besucherinnen und Besuchern die Gedanken, Eindrücke, Tränen, Trauer, Wut und Ohnmacht zu verarbeiten und zu besprechen – oder auch nur zu schweigen. "Manchmal genügt es schon, wenn man einfach nur da ist." "Das Zeugnis der Kirche an der Gedenkstätte Auschwitz“, so erklärt Manfred Deselaers, „ist vor allem ein Glaubenszeugnis: Die Macht des Bösen und des Todes hat nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat Gott, der Liebe ist." Dabei hat er in seiner akademischen Dissertation selbst ganz tief in den Abgrund geschaut, als er sich mit Gott und dem Bösen beschäftigte – im Hinblick auf die Biografie und die Selbstzeugnisse von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz. Höß war ein Mann, der die Ermordung und Vernichtung generalstabsmäßig organsierte und durchführte. Gewohnt hat er als liebender Ehemann und Vater vierer Kinder direkt hinter der Mauer des Lagers. Manfred Deselaers steht dafür, solch perfider Verdrängung nicht das letzte Wort zu geben, und vor allem nicht dem Hass. Und er weitet die Perspektive auch auf die heutige politische Landschaft in Europa und auf die Tatsache, dass faschistische und völkische Ideen immer stärker werden, wenn er sagt: "Auschwitz steht als Symbol des Bösen an sich; als Symbol einer Welt ohne Gott; als Symbol für entartete Religion, als Symbol für die Folgen von Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit, Faschismus, politischem Machtmissbrauch".
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