SWR3 Gedanken
Ist ihnen das schon mal passiert: Sie laufen über die Straße und ihnen wird hinterhergepfiffen? Oder sie werden unangenehm lüstern angeschaut? Oder jemand hat ihnen ungefragt sexualisierte Bilder aufs Handy geschickt? All das gehört – neben Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch –zu sexualisierter Gewalt. Zwei Drittel aller deutschen Frauen haben so etwas bereits erlebt[1]. Auch ich.
Aber darüber sprechen tun nur wenige. Warum eigentlich? Wenn etwas so Ungerechtes und Schlimmes passiert, muss das doch angezeigt werden – damit es nicht noch mal passiert. Ich vermute: Weil sich Frauen dafür schämen, Opfer sexualisierter Gewalt zu sein.
Gisele Pelicot sagt: „Die Scham muss die Seite wechseln“ – nicht die Opfer sollen sich schämen, sondern die Täter. Und genau deshalb ging sie mit ihrem Prozess an die Öffentlichkeit: Gisele Pelicot wurde von ihrem Ehemann über zehn Jahre hinweg immer wieder sediert und so anderen Männern im Internet angeboten – zur Vergewaltigung. Ihr Ehemann und 50(!) weitere Männer sind letzten Dezember dafür schuldig gesprochen worden – alle müssen in Haft.
Vermutlich ist keine Strafe genug für diese grausame Tat – und das Trauma wird Gisele Pelicot bleiben – aber es wird noch etwas anderes bleiben: Ihr Mut! Eine mutige Frau, die sich nicht schämt! Pelicot ist diesen harten Weg nicht nur für sich und ihre drei Kinder gegangen – sondern für uns alle. Für eine Gesellschaft, die so etwas nicht mehr duldet. Gegen ein System, das schweigt und wegschaut.
Gisele Pelicot ist eine Heldin unserer Zeit – sie fordert ein, dass es selbstverständlich wird, sich gegen sexualisierte Gewalt zu wehren. Sie fordert ein, was wir dringend brauchen: Eine Gesellschaft, in der wir ALLE – Frauen UND Männer – offen darüber sprechen können. Ohne Scham!
[1]https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/gleichstellung/frauen-vor-gewalt-schuetzen/haeusliche-gewalt/formen-der-gewalt-erkennen-80642
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41466