SWR Kultur Wort zum Tag
Beim Bäcker meines Vertrauens ist die Brotschneidemaschine kaputt. Also kaufe ich zum ersten Mal, seit ich weiß nicht, wie vielen Jahren, wieder mal einen Laib Brot am Stück. Zuhause lässt die Misere allerdings nicht lange auf sich warten: Bei meinen Bearbeitungsversuchen mit dem Brotmesser entstehen hässliche Brocken, krumm und schief. Mit schnittigen Scheiben haben sie nicht viel gemein. Hilflos betrachte ich das malträtierte Brot. Und muss plötzlich an einen Spruch meines Vaters denken, den ich als Kind oft gehört habe: „Nur mit Kraft. Nicht mit Druck.“ Kraft anzuwenden, statt Druck auszuüben, das könnte jetzt auch helfen, aber wie fange ich es an? Was macht den Unterschied? Beherzt setze ich das Messer noch einmal an, schön langsam, besinne mich auf meine Kraft und nehme die Anspannung aus meinen Muskeln. Und siehe da: schon sieht das Ergebnis viel besser aus. Nur mit Kraft. Nicht mir Druck.
Was fürs Brotschneiden gilt, erweist sich auch sonst im Leben als gute Devise. Mein Vater war von Beruf Lehrer. Über vierzig Jahre lang hat er Schülerinnen und Schüler unterrichtet. Er konnte das gut, hatte diese natürliche Autorität. Und wusste, auch wenn es ihm bestimmt nicht immer gelungen ist, um den Unterschied zwischen Kraft und Druck. Druck ist die Kraft der Verzweiflung. Nimm die Verzweiflung raus und die Kraft bleibt übrig. Und heraus kommen keine hässlichen Menschen, krumm und schief, mit blauen Flecken auf der Seele, sondern bestärkte Leute mit Zutrauen ins Leben und in die eigenen Kräfte. Und hier endet dann auch der Vergleich mit den Brotscheiben.
Aber mir fallen viele Situationen ein, in denen ich viel zu viel Druck ausübe. Auf andere, aber auch auf mich selbst. Unbedingt etwas will. Auf Biegen und Brechen. Und schon an diesen Worten fällt auf, dass vor allem Kaputtes dabei herauskommen muss. Verbogenes, Zerbrochenes. Wenn ich mich auf meine Kraft verlasse, wirds besser.
Beim Bäcker kaufe ich jetzt häufiger mal ein Brot am Stück. Zum Üben. Nur mit Kraft. Nicht mit Druck.
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