SWR1 3vor8
Lachen oder weinen? Manchmal weiß ich nicht so genau, was von beiden ich tun soll. Wenn mir jemand etwas als Wahrheit verkaufen will, von dem ich weiß, dass es definitiv nicht stimmt. Russland ist eine Demokratie. Oh nein, leider nein, schön wär’s, das ist zum Weinen. Aber lächerlich macht sich der, der es behauptet, wenn es nur nicht so bitter wäre. Für dieses weite Land mit seiner großen Geschichte und vielen wunderbaren Menschen.
Lachen oder weinen? Wenn ich von Gott spreche, will ich etwas Positives sagen, was anderen guttut, wenn sie müde sind oder traurig über den Tod oder frustriert vom Leben. Ich habe eine frohe Botschaft zu verkünden. Gott will nicht den Tod. Jesus will die stärken, die mühselig und beladen sind. Nur manchmal denke ich mir: Das ist zu einseitig. Wenn mir eine Mutter ihr Herz ausschüttet und erzählt, dass sie sich nicht mehr zu helfen weiß, weil ihre Jüngste hochbegabt und sensibel ist und sich gleichzeitig im normalen Leben nicht zurechtfindet. Sie beginnt dann zu weinen, weil sie sich so ohnmächtig vorkommt. Und das fühlt sich richtig an.
Lachen oder weinen? Heute wird in den katholischen Gottesdiensten ein Bibeltext aus dem Buch Nehemia im Alten Testament der Bibel vorgetragen, der nur wegen eines Satzes berühmt ist. Der Satz lautet: Die Freude am Herrn ist eure Stärke[1]. Dem stimme ich zu. Gott als den zu erleben, der mein Leben hell macht, der mir eine Richtung zeigt, bei dem ich mich auch in schweren Zeiten aufgehoben weiß, das macht mich froh. Aber manchmal, wenn ich an Gott denke und mir dabei bestimmte Gedanken vor Augen führe, die ich aus der Bibel kenne, dann werde ich nachdenklich und zuweilen sehr traurig. Zum Beispiel Die Letzten werden die ersten sein[2] – und ich sehe, wie sehr unsere Welt auf Leistung ausgelegt ist. Oder Lasst die Kinder zu mir kommen, denn ihnen gehört das Himmelreich[3]– gleichzeitig denke ich daran, dass Kindern von Priester missbraucht wurden oder und dass immer mehr Kinder an der Armutsgrenze leben sogar im reichen Deutschland.
Lachen oder weinen? In der gleichen Bibelstelle, die heute dran ist, heißt es nämlich auch, und zwar unmittelbar bevor die Freude an Gott beschworen wird: Alle Leute weinten nämlich, als sie die Worte der Weisung hörten[4]. Ja, das ist so, dass es zum Weinen ist, wenn die nüchterne Realität auf das prallt, was Gott eigentlich will. Dann ist es gut, traurig zu sein, die Trauer sehr ernst zu nehmen. Damit ich dranbleibe und nicht vergesse, dass noch lange nicht alles gut ist.
[1] Nehemia 8,10
[2] Matthäus 19,30
[3] Markus 10,14
[4] Nehemia 8,9
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