SWR Kultur Wort zum Tag
Ein Kollege von mir joggt morgens immer ins Büro. Noch ziemlich verschwitzt hält er mir einen gelben Zettel unter die Nase, darauf steht eine Frage: „Tut es gut, was du machst?“ Auf dem Weg zur Dusche ruft er mir noch zu: „Das hat an einem Laternenmast geklebt.“ Ein bisschen verwirrt lässt er mich zurück – und auch nachdenklich, denn die Frage wirkt nach: „Tut es gut, was du machst?“
Manche Sachen tun vielleicht nur mir selbst gut: Ein Buch lesen, schwimmen gehen oder ein Feierabendbier trinken zum Beispiel. Aber es gibt auch Dinge, die anderen gut tun: Tischtennis mit meinen Jungs spielen, wenn ich als Seelsorger Menschen in einer Krise beistehen kann. Oder wenn das, was ich im Radio zu sagen habe, auf offene Ohren trifft. Und manches tut wahrscheinlich auch gar nicht gut: Laute Musik bis spät in die Nacht hören, Billigklamotten kaufen oder noch gute Lebensmittel wegwerfen. Wahrscheinlich ist es wichtig, da eine gute Balance hinzukriegen.
Als mein Kollege frisch geduscht am Schreibtisch sitzt, recherchieren wir ein bisschen. Denn ganz klein steht am unteren Rand des Zettels „die Erinnerungsguerilla“. So nennen sich die Leute, die überall diese kleinen gelben Zettel hinkleben. Sie können rückstandsfrei entfernt werden, was mein Kollege ja schon ausprobiert hat. Und auch woanders wieder hingeklebt werden. Das habe ich gleich gemacht, und die Frage prangt jetzt an meiner Pinnwand.
Man kann auch Teil der Erinnerungsguerilla werden und Klebezettel mit Fragen bestellen: auf Spendenbasis und immer in 25-er Blöcken. Das sind dann Fragen wie: „Wann singt dein Herz?“, „Wie viel ist Dir genug?“ oder „Was ist Dir wirklich wichtig?“
Die „Erinnerungsguerilla“ schreibt, sie glaubt an die Kraft der Fragen. Stimmt, bei mir hat es auf jeden Fall gewirkt. Und deshalb kleben diese Leute ihre Fragen an Fahrradlenker, Bushaltestellen, Bankautomaten, Mülleimer, Ampeldrücker oder Fensterläden. Und dann kann es sein, dass mich beim Joggen oder beim Brot holen oder beim Busfahren oder beim Rauchen ganz unvermittelt eine Frage trifft. Zum Beispiel die hier: „Was bleibt wenn du gehst?“
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