SWR4 Abendgedanken
Niemand steht gerne in der Schlange – vor der Post, beim Bäcker, an Kaufhauskassen. Ich auch nicht. Da will ich heute doch nur fröhlich „mal schnell“ zum Bäcker, ein Brot kaufen. Aber aus dem „mal schnell“ wird nichts: Warteschlange.
Hilft also nichts, ich muss mich anstellen. Und warten. Erst mal gucken, warum es heute so lange dauert. Aha, nur ein Brotverkäufer. Die andere Fachkraft ist mit Nachlegen und Backen beschäftigt. Also geht es eben nur langsam. Warten ist langweilig. Viele holen deshalb während des Schlangestehens ihr Handy raus. Manchmal mache ich das auch. Meistens aber übe ich mich einfach im Schlange stehen. Wie das geht? Es ist eigentlich ganz leicht: Ich stehe in der Schlange und nehme das einfach so wahr. Sonst nichts. Und bevor jetzt jemand die Augen verdreht: Ja, ich spüre dann aufmerksam hin, wie ich stehe, wie meine Füße auf dem Boden sind, und wie mein Rücken aufgerichtet ist. Wie ich ein- und ausatme. Wie kalt die Luft ist. Lauter klassische Grundübungen der Achtsamkeit. Das mache ich, solange ich warten muss. Einfacher gesagt: Ich konzentriere mich einfach auf meinen Körper. Das ist alles. Und die Zeit vergeht ruckzuck.
Da in der Warteschlange bekomme ich unfreiwillig eine kleine Pause geschenkt. Ob ich mich ärgere oder nicht, das wird die Warterei nicht abkürzen. Also mache ich was draus. Kann nachdenken, was ich noch tun müsste heute. Oder was ich erlebt habe. Ganz oft mache ich ein bisschen sightseeing: Wer steht denn noch mit mir hier, kenne ich da jemanden? Gerne gucke ich auch anderen beim Einparken zu. Manchmal warten Eltern mit Kindern, die sind quengelig oder mitteilungsfreudig. Und ich freue mich an ihrer Lebendigkeit. Langweilig ist mir beim Warten längst nicht mehr.
Warten ist manchmal anstrengend und kann nerven. Ich muss es nicht schönreden. Aber wenn es sich schon nicht verhindern lässt, kann ich es auch annehmen, wie es ist. Und erlebe eine geschenkte Pause.
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