SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Maria hat mir geholfen. Ein kleines Schild mit goldenen Buchstaben hat jemand an einer Wand im Wallfahrtkloster im saarländischen Blieskastel angebracht. Und es ist nicht das einzige Schild. Da berichten Menschen von ihren wundersamen Heilungen. Manchmal ganz konkret mit Namen und Datumsangabe. Ihre Gebete wurden offensichtlich erhört. Maria, Heilige, Engel und Gott selbst sind ihre Retter in der Not, bei denen sich die Menschen bedanken. Wie gut und wieviel Gottvertrauen, denke ich mir. Gleichzeitig frage ich mich: Wie viele rufen nach Hilfe und erhalten keine Antworten. Sie schreien buchstäblich in die Nacht hinein und hören nur ihr eigenes Echo, das an der Wand zurückhalt. Denn ihre Schmerzen bleiben. Wie viele werden enttäuscht trotz ihres Glaubens an Gott, der doch alles gut machen soll. Wie viele verzweifeln an ihrem Gott, dem sie sich doch von Kindheit an mit ihren großen und kleinen Sorgen anvertraut haben.
Im Krankenhaus in dem ich als Seelsorger arbeite, stehen im Fürbittbuch am Eingang der Kapelle oft ganz andere Gebete. Unerhörte Gebete sind es. Nicht mit Goldbuchstaben, eher mit zittrigen Händen sind sie geschrieben. Da stehen verzweifelte Hilferufe im Leid einer Krankheit, die bleibt. Stammelnde Gebete nach einem Schicksalsschlag, der von jetzt auf nachher alles verändert hat. Und Schreie zum Himmel für die Liebsten.
Heute wird im katholischen Sonntagsgottesdienst in einem Text aus der Bibel berichtet, wie Maria Jesus, ihren Sohn, um etwas bittet und bei ihm nur auf blanke Ablehnung stößt. Ihre Bitte bleibt zunächst unerhört. Es ist die Geschichte von der Hochzeit in Kana. Und die ist schnell erzählt. Zur Zeit Jesu war eine Hochzeit DAS Fest. Das ganze Dorf kommt zusammen. Jeder und jede, die Braut oder Bräutigam kennen, sind dabei. Auch Jesus, seine Jünger und Maria, seine Mutter gehören zu den Gästen. Mehrere Tage wird gefeiert. Gegessen und getrunken. Getanzt und erzählt. Doch da geschieht etwas, was auf einer Hochzeit einfach nicht vorkommen darf. Der Wein geht aus. Das geht überhaupt nicht. Eine Hochzeit ohne Wein. Undenkbar ist das. Und mehr als peinlich für Braut und Bräutigam. Maria merkt das sofort. Hilfesuchend richtet sie ihre Bitte an den Sohn. Er ist ihre letzte Rettung. So oft hat er doch schon in der Not geholfen. Leise flüstert sie ihm ins Ohr: Der Wein ist ausgegangen. Kein Tropfen ist mehr da. Bitte hilf den Gastgebern. Doch der lässt sie links liegen und wendet sich von ihr ab. Nur ein abfälliges Was willst du von mir? hat er für sie übrig.
Die Geschichte von der Hochzeit erzählt auch von den Gebeten vieler Menschen. Von all den Bittgebeten, die nicht erhört werden. Von all den Enttäuschungen nicht angehört zu werden. Sie erzählt von der verzweifelten Suche nach jemandem der mir in meiner Not hilft. Sie erzählt von all den Menschen, die nur das Beste für andere wollen.
Maria hat geholfen, steht auf dem Schild beim Kloster in Blieskastel. In Kana damals wird ihr nicht geholfen. Sie erlebt nur Abweisung. Doch sie bleibt gelassen und vertraut umso mehr. Sie geht zu den Dienern und Bediensteten und meint nur: Was er euch sagt, das tut. Maria erlebt bei ihrem Sohn immer wieder, dass sein Sprechen von Gott so ganz anders ist als die Frommen ihrer Zeit es lehren. Er betet wie ein Kind. Er hat ein grenzenloses Vertrauen in seinen Vater im Himmel, wie er immer wieder sagt. Selbst in der Aussichtslosigkeit seines gewaltsamen Todes am Kreuz bleibt er dem treu und vertraut sich seinem Gott an. Mein Gott warum hast Du mich verlassen ist sein Schrei in die Nacht hinein. Bis heute wird so im Gebet das Leid hinausgeschrien. Und bis heute fügen Menschen an: In deine Hände lege ich mein Leben. Dir allein vertraue ich mich an.
Die Geschichte von der Hochzeit in Kana nimmt einen guten Ausgang. Sechs leere Steinkrüge werden herbeigebracht und mit Wasser gefüllt. Ein scheinbar sinnloses Unterfangen. All die Peinlichkeit mit dem Wein, der ausgegangen ist, wird noch einmal in den mit Wasser gefüllten Steinkrügen vor Augen geführt. So lässt sich keine Hochzeit feiern. Doch vielleicht kennen sie ja den Ausgang der Hochzeitsgeschichte. Das Wunder geschieht. Beim Schöpfen und Trinken reiben sich alle die Augen. Aus dem Wasser ist bester Wein geworden.
Die Geschichte von der Hochzeit in Kana. Lesen wir sie nicht als historischen Bericht von vor 2000 Jahren. In ihr wird nämlich erzählt, was Glaube bedeutet. Maria macht es vor. Und bis heute all die Menschen, die trotz ihrer Gebete, die nicht in Erfüllung gehen, vertrauen.
Vielleicht braucht es nur das. Das Eingeständnis meiner Leere und Ohnmacht. Das grenzenlose Vertrauen, dennoch in Gott getragen zu sein. Mein ehrliches Gebet in der Verzweiflung. Mein Festhalten an Gott, trotz seiner Unbegreiflichkeit, wie der Theologe Karl Rahner meinte. Gebete, nicht in goldenen Buchstaben geschrieben. Eher mit zittriger Hand.
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