Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Da stirbt mit gerade einmal 49 Jahren der Betriebsratsvorsitzende eines größeren Unternehmens bei einer Herzklappen-Operation. Er war sehr beliebt und geschätzt in der Belegschaft und bei der Geschäftsführung – ein Mann klarer Worte und im Umgang mit allen immer fair und verlässlich.
Bei einem Besuch auf der Palliativ-Station eines städtischen Krankenhauses erfahre ich von einer jungen Mutter, 33 Jahre alt, zwei Kinder im Alter von 8 und 10 Jahren, ihr Mann derzeit arbeitslos. Sie hat eine nicht mehr therapierbare Krebs-Erkrankung und ihre Tage sind gezählt.
Seit Jahren begleite ich einen Vater, mit fürsorglichen Händen und einem Herz voller Liebe im Hinblick auf seinen kleinen Sohn. Er kann ihn seit fast zwei Jahren nicht mehr sehen. Behörden, Ämter, Juristen sind gut mit dem Fall beschäftigt. Fakt ist: Auch der Bub, noch im Kindergartenalter, vermisst seinen Papa. Gott sei Dank tut sich momentan was, und Treffen sind wieder möglich.
Solche Geschichten sind für mich als Seelsorger mein tägliches Brot, und ich kann sie nicht einfach in einer Schublade entsorgen. Die politische Großwetterlage, die Kriege und Krisen, die Nachrichten in der Zeitung, die Berichte von leidenden Tieren, ja, „die Seufzer der bedrängten Kreatur"– sie lassen mich nicht kalt. Und doch nützt es wenig, das eigene Mitleiden noch obendrauf zu packen.
Was hilft mir? – Wenn ich mich verstanden fühle. Wenn ich auf Worte stoße, die meine eigene Bedürftigkeit benennen und ernst nehmen. Worte, die nicht damit einverstanden sind, dass alles Schwere nur zu schlucken sei. Ich will das Bedrückende und Belastende nicht beiseiteschieben, nur manchmal loslassen können und von Zeit zu Zeit ganz kindlich um frischen Wind im Seelenhause beten, so wie Paul Gerhardt es getan hat inmitten aller Dramen des 30-jährigen Krieges:
Gott „gebe uns ein fröhlich Herz,
erfrische Geist und Sinn.
Und werf all Angst, Furcht, Sorg und Schmerz
in Meeres Tiefe hin."
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