Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20JAN2025
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Die Bibel erzählt im „Buch Daniel“ (Kap.5) eine gespenstische Geschichte: Der babylonische König Belsazar, ein kriegslüsterner Machtprotz im 6. Jahrhundert vor Christus, feiert mit seinen Vasallen eine Gala. Man besäuft sich mit Wein aus liturgischen Gefäßen, die man aus dem Jerusalemer Tempel geraubt hatte. Doch plötzlich erscheint an der Wand eine Geisterhand und kritzelt: „Mene-Tekel“. Auf Deutsch: Deine Tage, König, sind gezählt, du wurdest gewogen und zu leicht befunden. Der „entfärbt sich“, übersetzt Martin Luther, wird kreidebleich, so fährt ihm der Schreck in die Glieder. Die Party ging abrupt zu Ende, und um den König wars geschehen.

Eine grandiose Performance, finde ich. Ich wünschte mir eine solche Installation in Trumps „Oval Office“, in Putins Kreml und in allen Regierungszentralen: „Mene-Tekel“ an der Wand und auf allen Bildschirmen, wenn die Machthaber Krieg führen, statt zu verhandeln, die Welt zu Tode rüsten, statt Hunger und Elend zu bekämpfen und den Klima-Wandel zu stoppen. Wenn sie sich selber gottgleich produzieren, statt dem Gemeinwohl zu dienen.

Die Frage ist nur: Wer führt diese Geisterhand? Wer schreibt das „Mene-Tekel“ an die Wand? Das Volk natürlich, denn in der Demokratie sind wir der Souverän und haben das Sagen. Das passt machtbesoffenen Despoten gar nicht in den Kram. Doch auch demokratische Regierungen spuren nur dann, wenn sich die da unten immer wieder lautstark artikulieren, sonst regieren die da oben am Volk vorbei. Ja – Demokratie ist schrecklich anstrengend, aber nur so funktioniert sie.

Bitter, wie Jesus von Nazareth die politische Klasse seiner Zeit beschreibt: „Ihr wisst doch: Die Herrscher richten ihre Völker zugrunde. Bei euch soll es anders sein: Wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener, und wer unter euch der Erste sein will, der sei euer Knecht“ (Matthäus-Evangelium 21,26-27).

Dieser Geist qualifiziert für ein Regierungsamt. Wenn nun bald ein neuer Bundestag zu wählen ist, messe ich die Kandidatinnen und Kandidaten an ihrer Dienstbereitschaft. Abgeordnete müsste man an ihrer Demut und das heißt – alt-deutsch – an ihrem „Dien-Mut“ erkennen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41418
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