SWR Kultur Lied zum Sonntag

Ein älterer Pfarrer hat mir einmal von seinem persönlichen Geburtstagsritual erzählt. Jedes Jahr an seinem Geburtstag singt er – ganz für sich – dasselbe Lied: Bis hierher hat mich Gott gebracht.
Musik 1 Strophe 1
Bis hierher hat mich Gott gebracht durch seine große Güte – der Text strahlt eine große Zufriedenheit, ja Dankbarkeit aus. Und vielleicht fragen Sie sich: Könnte ich das auch so singen und sagen – zum Jahreswechsel, an meinem nächsten Geburtstag? Heute morgen?
Bis hierher hat mich Gott gebracht… Bin ich damit zufrieden, wie mein Leben bis hierher verlaufen ist? Erkenn ich darin gar etwas von Gottes Güte? Oder kann so nur jemand singen, dessen oder deren Situation und Lebensbilanz besser aussieht als meine?
Musik 2 Gloria Brass
Es war, ungewöhnlich für die damalige Zeit, eine Frau, die Ende des 17. Jahrhunderts den Text unseres Liedes geschrieben hat: Ämilie Juliane von Schwarzburg-Rudolstadt
Und ja, sie konnte wohl mit ihrem Leben zufrieden sein. Denn vom Waisenkind, das bei adligen Verwandten aufgewachsen ist, wurde sie durch Heirat zur Landesmutter. Sie managt den adligen Großbetrieb auf der Heidecksburg im heute in Thüringen gelegenen Rudolstadt. Sie kümmert sich aber auch um die sozialen Belange der ihr anvertrauten Bevölkerung. Nebenher schreibt sie, geprägt von ihrem tiefen Glauben, hunderte von geistlichen Liedern. In ihnen geht es auch um Alltagsthemen – vom Schulbesuch der Kinder bis zum Streit ums Erbe. Liedtexte gesättigt mit Lebenserfahrung.
Der Herr hat Großes mir getan – so sagt es Ämilie Juliane selbstbewusst in der zweiten Strophe unseres Liedes. Und leiht sich damit die Worte der Maria aus dem Magnificat:
Hab Lob und Ehr, hab Preis und Dank
für die bisher’ge Treue,
die du, o Gott, mir lebenslang
bewiesen täglich neue.
In mein Gedächtnis schreib ich an:
Der Herr hat Großes mir getan,
bis hierher mir geholfen.
Es war eine außergewöhnliche Frau, die diese Zeilen gedichtet hat. Aber ich finde: Ihr Lied taugt nicht nur für Menschen mit glänzenden Biografien.
Das letzte Wort jeder Strophe heißt nämlich: geholfen. Das weist darauf hin, dass im Leben eben nicht alles glattläuft. Dass es Probleme gibt, die ich alleine nicht bewältigen kann. Das Lied ermutigt dazu, darauf zu sehen, wer oder was mir in solchen Situationen geholfen hat. In der dritten Strophe wird das Lied schließlich zur Bitte, zum Gebet. Weil klar ist: Auch in Zukunft werde ich Hilfe brauchen. Und mehr noch: Vergebung und Versöhnung. Weil ich bei allem, was ich tue, auch Fehler machen werden, mich selbst und andere verletzen. Die Dichterin findet diese Versöhnung in Christus.
Musik 3 Pianofassung
Hilf fernerhin, mein treuster Hort,
hilf mir zu allen Stunden.
Hilf mir an all und jedem Ort,
hilf mir durch Jesu Wunden.
Damit sag ich bis in den Tod:
Durch Christi Blut hilft mir mein Gott;
er hilft, wie er geholfen.
Bis hierher hat mich Gott gebracht. Und ja, auch wenn an dieser Stelle meines Lebens vieles nicht perfekt ist: Ich bin dankbar dafür, dass ich hier bin. Und stimme deshalb – wie der ältere Kollege an seinem Geburtstag – gerne mit ein in die Worte einer lebensklugen Frau.
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