Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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„Schauen Sie mal, die Form und die Proportionen – und erst die Farbe!“ hat die Verkäuferin im Schuhgeschäft zu mir gesagt. „Der sich das überlegt hat, das war ein richtiger Künstler!“ Für ein paar gewöhnliche Damenschuhe fand ich die Begeisterung ein bisschen übertrieben. Aber schön waren sie wirklich und ich habe sie dann auch gekauft.
Zu Hause habe ich es erzählt und meine Kinder ziehen mich manchmal ein bisschen damit auf, wenn ich „die Künstler-Schuhe“ anhabe.
Ich habe die Schuhe jetzt schon ein paar Jahre, in meinem Alter wächst man ja nicht mehr raus. Und ich habe das nicht vergessen. So schöne Schuhe – die muss wohl ein Künstler gemacht haben. Man kann es sehen. Schauen Sie doch mal.
Inzwischen ist mir aufgefallen, dass in der Bibel die Menschen genauso von Gott reden. „Wenn ich sehe den
Himmel, deiner Finger Werk, den Mond und die Sterne, die du gemacht hast,“ sagt da einer, und dann: „Herr
unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name“. Für den Beter von damals ist es genauso offensichtlich wie für die Verkäuferin in einem Tübinger Schuhgeschäft: der das gemacht hat, muss ein ganz Großer sein. Man kann es sehen. „Schauen Sie doch mal!“
Vielleicht muss man wirklich bloß richtig hinschauen, damit man sehen kann, wie schön Gott unsere Welt gemacht hat und wie gut er es mit uns meint. Für die jetzt kommenden Ferientage habe ich mir das jedenfalls vorgenommen. Nicht nur den glitzernden See, das Wasser, klar bis auf den Grund, der Wind in den Bäumen am Ufer und die Wolkenberge am Himmel, - auch bei dem Fest, zu dem ich eingeladen bin und beim Familientreffen in vier Wochen will ich genau hinschauen. Wie froh Menschen sein können, dass sie einander haben und wie sehr sie einander brauchen. Wie gut, dass keiner allein sein muss.
Ich weiß, es gibt auch das andere: die Natur wird zerstört, Menschen machen sich gegenseitig das Leben schwer und lassen einander im Stich. Aber das ist eben nicht alles, Gott sei Dank. Und gerade die es schwer haben, sagen mir oft. Es gibt so viel Schönes in meinem Leben und ich bin sehr dankbar – trotz allem.
Man muss bloß hinschauen. Und vor allem: man braucht jemanden, der einen darauf aufmerksam macht. Oft ist man selber wie vernagelt, man sieht nur noch das Missglückte und Verdorbene. Dann braucht man jemanden, der sagt: Schauen sie doch mal! Oder. Sieh mal! Wie schön.
Vielleicht können Sie sich das ja vornehmen, für die Ferien, die heute anfangen. Ganz bewusst hinschauen, ganz bewusst einander aufmerksam machen auf alles, was schön ist. Dann können Sie in ein paar Wochen vielleicht
auch sagen. Das muss ein Künstler gewesen sein, der das gemacht hat. Oder wenigstens: Gott sei Dank! https://www.kirche-im-swr.de/?m=4141
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