Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

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Reifeprüfung hat man früher das Abitur genannt. Das ist bei mir eigentlich schon lange her und könnte längst vergessen sein. Aber seit ich Kinder habe, scheint mir: Eigentlich ist jeder Zeugnistag eine Art Reifeprüfung – besonders für die Eltern.
Denn mit den Zeugnissen der Kinder richtig umzugehen, das ist nicht so einfach. Loben soll man die Kinder, damit sie Selbstvertrauen entwickeln können und Freude daran haben, etwas zu leisten. Das ist sicher richtig. Aber zu viel Lob ist dann auch wieder verkehrt: die Kinder könnten den Eindruck kriegen, nur wenn sie in der Schule alles gut machen sind sie ihren Eltern recht und alles andere zählt nicht.
Und wenn das Zeugnis nicht gut ist? Ärger und Kritik rauslassen, oder lieber still sein, weil die Kinder sich ja selbst schon genug ärgern und enttäuscht sind? Aber werden sie dann nicht denken, es ist mir egal, ob sie was tun für die Schule oder zu bequem sind, um sich ein bisschen dahinter zu klemmen? Wenn ich mich über ein Zeugnis ärgern musste, hat es mir manchmal geholfen, an Hermann Nohl zu denken, den Pädagogen, der gesagt hat:
„Die Schwierigkeiten der Kinder sind nicht die, die sie einem machen, sondern die, die sie haben.“
Noch schwieriger ist es, wenn man mehrere Kinder hat, die einen mit guten, die anderen mit schlechten Zeugnissen: dann ist es besonders schwer, mit Lob und Kritik so umzuge-hen, dass die einen Anerkennung finden und die anderen nicht entmutigt werden.
Zeugnistage sind Reifeprüfungen für die Eltern. Was kann einem helfen, die Prüfung zu bestehen? Wie findet man die Gelassenheit, um sich richtig zu verhalten?
Ich habe da auch kein Rezept. Jedes Kind ist anders und jedes Zeugnis ist eine Heraus-forderung für die Eltern.
Mir hat an solchen Tagen geholfen, mich noch ehe die Kinder nach Hause kamen, Gott anzuvertrauen. Der ist doch ihr Schöpfer und ihr himmlischer Vater. Der hat sie gemacht wie sie sind und hat versprochen, sie zu begleiten.
Dem habe ich gesagt: Danke, dass ich sie habe. Und habe ihm meine Unsicherheit anvertraut. Das hat mir geholfen zu sehen, wie wunderbar und eigen-artig sie sind – jeder auf seine Wei-se, egal, was das Zeugnis über sie sagt. Und es hat mir geholfen, einigermaßen die Balance zu finden zwischen Lob und Tadel.
Wenn Sie heute auch so eine Reifeprüfung vor sich haben. Ich wünsche ihnen Gottes Geist dazu. vielleicht können Sie sich mit ihren Kindern zusammen erst einmal auf die Ferien freuen. Und im nächsten Schuljahr gemeinsam bedenken, was getan werden kann – von Anfang an und nicht erst am Zeugnistag. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4140
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